Im März ereilte uns alle die gesellschaftliche Vollbremsung. Die Wirtschaft steht seither. Kinder und Jugendliche dürfen nicht zur Schule und das öffentliche Leben liegt in weiten Teilen brach. Doch es dauerte gar nicht lange, da begann es an den heimischen Schreibtischen, in Videokonferenzen und anderen Online-Räumen schon wieder zu summen und zu brummen: Schnell einen kontaktlosen Lieferservice aufbauen. Schnell neue Formate für digitale Bildung entwickeln. Schnell alleine zuhause weiter pauken für Klausuren und Leistungsüberprüfungen. Unseren gesellschaftlichen Modus „Höher, schneller, weiter“ hat Corona nicht ausbremsen können.
Und deshalb passt es ziemlich gut, dass das „baugerüst“, die Fachzeitschrift für Evangelische Jugendarbeit, dieses Motto in der aktuellen Ausgabe unter die Lupe nimmt. Was macht Beschleunigung und der permanente Optimierungsdruck mit der Entwicklung von Jugendlichen? Was bedeutet Stress für den Körper? Gibt es ein „Höher, schneller, weiter“ in der Bibel? Welche Rolle spielt die Digitalisierung für gesellschaftliche Beschleunigung? Kann die permanente Selbstoptimierung auch positive Seiten haben? Und welche Projekte und Ansätze gibt es in der Evangelischen Jugendarbeit zu all diesen Themen? Das neue Heft gibt Antworten und wirft noch mehr spannende Fragen auf.
Aus der Thüringer Akademie sind gleich zwei Mitarbeitende an dem Heft beteiligt. Studienleiter Holger Lemme wirft in einem Beitrag einen Blick auf die Genration Z wie Zeit und fragt, wie unterschiedliche Generationen in der Arbeitswelt mit Beschleunigung umgehen. Dr. Annika Schreiter ist seit einem Jahr Mitglied der Redaktion des „baugerüst“ und gestaltet so die Agenda der Zeitschrift mit. Bei dieser Ausgabe war sie zudem für die Endredaktion verantwortlich.
Es ist ein sonniger und warmer Tag in Erfurt. Draußen macht sich Corona-Lockerungsstimmung breit. Die Aktion „Gold statt Braun“ lässt Kultureinrichtungen in Erinnerung an das Ende des zweiten Weltkrieges erglänzen.
In die Michaeliskirche fällt das Licht gedämpft. Es ist kirchenkühl. Zum Literaturgottesdienst am 8. Mai haben sich um 19 Uhr an die 30 Besucher versammelt. Ein zweiter Gottesdienst eine Stunde später wird ebenso gut besucht sein.
Die Glocken läuten. Der Gottesdienst beginnt. Die Stimmung ist konzentriert. Gefeiert wird das Ende der nationalsozialistischen Diktatur. Gedacht wird der 65 Millionen Toten dieses Krieges. Christian Meyer-Landrut liest aus „Deserta. Ich rufe dich bei deinem Namen.“ Es ist eine Auseinandersetzung mit dem vom Krieg gezeichneten eigenen Vater, niedergeschrieben für die Nachgeborenen – intim und politisch zugleich. Bilder werden aufgerufen und entstehen im Kopf, schmerzhaft, brennend, absurd; traurig, wüst, leer. Und dann, nach dem Krieg, das große Schweigen: „Alles ist stumm.“
Der Autor bringt das Schweigen zur Sprache, fragt nach dem, worauf es kaum Antworten gibt. Seine Lesung endet mit den Worten:
„Achi, diese tausend Jahre Krieg von 1939 bis 1945 waren kein Wimpernschlag. / Kinder, seid auf der Hut! / Der große Verwirrer, der Teufel, ist stets unterwegs … / Der Tod ist ein Meister aus Deutschland … / Lest Celan, trinkt die Schwarze Milch … / wehrt dem Vergessen, damit Europa ganz / und eure künftigen Kinder am Leben bleiben. / Nicht als Kindersoldaten im Morast marschieren. / Nicht in fremden Ländern dem Tod / entgegenfliehen.“
Darauf wird Fürbitte gehalten für alle, die das Grauen überlebt haben, für die Kinder und Enkel der Überlebenden, für die Menschen in den Kriegsgebieten und Flüchtlingslagern heute, für alle, die die Hoffnung auf Frieden nicht aufgeben und an Alternativen zum Krieg arbeiten.
Das Vaterunser wird gebetet, der Segen gesprochen: „Der Herr gebe dir Frieden“. Die Glocken läuten. Die Besucher verlassen den schützenden Raum.
Eine Videoaufzeichnung der Lesung fndet sich hier.
Auch wenn die Rufe nach dem Aufholen entgangener Umsätze spürbar lauter werden: Der Schutz der Beschäftigten gehört zu den größten Herausforderungen. Sie halten derzeit die grundlegenden Funktionen der Gesellschaft aufrecht: bei erhöhtem Arbeitspensum, vermehrten Schutzvorkehrungen und trotz der Tatsache, dass sie zudem stärker als üblich Zeit für die Betreuung ihrer Kinder aufbringen müssen. Gerade im Polizeidienst, in den Notdiensten, in Pflege und Krankenhäusern, in der Lebensmittelproduktion, aber auch in Einzelhandel und Logistik sind die Beschäftigten aktuell besonders gefordert und belastet. Sie benötigen mehr denn je Ruhezeiten, um sich regenerieren zu können. Forderungen nach einer allgemeinen Freigabe der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen sind daher entschieden abzulehnen.
„Die Beschäftigten insbesondere im Einzelhandel müssen nicht nur einen teilweise erhöhten Kundenansturm bewältigen, sondern sind auch in erhöhtem Maße dem Risiko einer Ansteckung ausgesetzt. Durch erweiterte Arbeits- und Öffnungszeiten kann die gebotene Entlastung keinesfalls erreicht werden“, sagt Susanne Wiedemeyer, DGB-Vorsitzende in Sachsen-Anhalt. „Als Allianz für den freien Sonntag fordern wir die Arbeitgeber auf, dem Schutz ihrer Beschäftigten in dieser Zeit höchste Priorität beizumessen. Angesichts des derzeitigen Krankenstands sind Arbeits- und Gesundheitsschutz, ausreichende Regenerationszeiten und Erhöhung der Personalquote die Mittel der Wahl, die Bevölkerung mit den Waren und Dienstleistungen zu versorgen.“
Daher fordert die Allianz für den freien Sonntag Sachsen-Anhalt in einer aktuellen Pressemitteilung, dass die in der COVID-19-Arbeitszeitverordnung erteilten Ausnahmegenehmigungen wie etwa die Freigabe der Sonntage für die Produktion existenzieller Güter nach Eindämmung der Pandemie umgehend wieder aufgehoben werden. Die Krise darf nicht dazu führen, dass in ihrer Folge das Niveau der gesetzlichen Regelungen zu Arbeitszeiten oder Mitbestimmung abgesenkt wird.
Vor einem Monat, zwei Wochen nach dem Lockdown in Deutschland, starteten wir die Online-Umfrage „Zeit für Bücher – Was lesen Sie gerade?“, an der sich 33 Personen beteiligten. Die Ergebnisse sind nun in einem aktuellen Zwischenstand ausgewertet:
Die ersten Fragen galten dem generellen Leseverhalten; zum Einstieg ging es um die derzeitige Situation während der Corona-Krise. Brachte der verordnete „Hausarrest“ uns mehr Zeit für Literatur? Für die Mehrzahl der Befragten scheint dies so zu sein: 63,6% lesen durchaus mehr als zuvor, 36,4% nehmen bei sich keine wesentliche Steigerung im Lesekonsum wahr.
Was wird gelesen? Ganz vorne liegen Romane (72,7%), gefolgt von Tages- und Wochenpresse, Zeitschriften, Magazine (57,6%) und Fachliteratur und Wissenschaftliches (54,5%). 18,2% lesen Kurzprosa, Essays und Gedichte. Einzelne gaben bei „Anderes“ Biographien, Comics, Sagen und Märchen, Infos im Internet und Podcasts an. Mehrfachnennungen waren natürlich möglich.
Der Großteil der Teilnehmenden liest überwiegend Gedrucktes (87,5%); zu elektronischen Formaten wie e-books, kindle usw. greifen nur 6,3%. 15,6% sind lesend hauptsächlich online unterwegs, z.B. auf Nachrichtenseiten, in Internetforen oder bei Wikipedia (auch hier waren Mehrfachnennungen möglich).
Besonders spannend wurde es bei den Fragen, was gerade gelesen wird, wie es gefällt, und welche Lektüren die Lesenden die letzten Wochen und Monate beschäftigt, erfreut, bereichert, vielleicht auch aufgewühlt oder verärgert haben. Die gesammelte Liste der Buchtitel, Autoren und Bewertungen kann man hier einsehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass erstaunlich viel klassische Weltliteratur darunter ist, mitunter auch mit aktuellen Bezügen, wie z.B. „Die Pest“ von Albert Camus. Geärgert haben sich viele über die Berichterstattungen der Medien zur Corona-Pandemie.
Die Teilnehmenden haben sich sogar von der – vielleicht schwierigsten – Frage nicht abschrecken lassen, welche drei Bücher mit zum Besten gehören, was sie je gelesen haben. Bewusst wurde nicht nach „den drei besten Büchern“ gefragt, denn „mit zum Besten“ lässt Spielraum offen für lebenszeitliche Veränderungen oder gerade nicht in Erinnerung Befindliches – wie das eben so ist, wenn man viel liest und gelesen hat. Die alphabetische Liste, nach Autornamen geordnet, findet sich hier. Germanistikprofessoren würden nicht völlig enttäuscht sein: Die deutsche Hochliteratur kommt durchaus vor – allen voran Thomas Mann, aber auch Christa Wolf, Martin Walser, Robert Musil und Hermann Hesse.
Die wegen Corona ausgefallenen Literarischen Salons der Evangelischen Akademie Thüringen hätten das Thema „Kleinste Ortschaften“ aufgegriffen. Deshalb richtete eine Frage das Interesse speziell auf Literatur zum Leben im ländlichen Raum. Die Mehrzahl hatte sofort Beispiele parat: Meistgenannt waren die Romane „Unterleuten“ von Juli Zeh sowie „Mittagsstunde“ und „Altes Land“ von Dörte Hansen – übrigens zwei Autorinnen, die oft angegeben wurden bei den Fragen, wen man bei einer Lesung hören oder wessen Bücher man gemeinsam besprechen möchte. Hier die Buchempfehlungen der Befragten zum Thema.
Beim letzten Eingabefeld konnten weitere Bemerkungen hinterlassen werden. Dort bekundeten viele ihr Interesse an einer Auswertung der Umfrage, insbesondere in der Hoffnung, gute Lesetipps von den anderen zu bekommen. Ebenso wurde Vorfreude auf die nächsten, hoffentlich bald wieder stattfindenden Literarischen Salons geäußert und ein Vorschlag, Lesungen online durchzuführen. Auch Sorge um die deutsche Buchhandelslandschaft während und nach der Corona-Krise kam zum Ausdruck.
Wir danken allen, die bis jetzt mitgemacht haben und freuen uns über weitere Beteiligung an der Umfrage. Denn – Zitat aus den Bemerkungen der Teilnehmenden: „Lesen bildet!“
Erst zum dritten Mal überhaupt wird der Kirchentag im kommenden Jahr in ökumenischer Gemeinschaft gefeiert – und gemeinsam vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag vorbereitet. Er wird vom 12.-16. Mai 2021 in Frankfurt am Main stattfinden. Unter dem Leitwort „schaut hin“ (Mk 6,38) werden sich über 100.000 Menschen zu Austausch, politischen Diskussionen, kulturellen Höhepunkten und spirituellen Momenten versammeln.
Bei der Vorbereitung des Kirchentagsprogramms wird sich auch die Evangelische Akademie Thüringen engagieren. Dr. Annika Schreiter, Studienleiterin für politische Jugendbildung, wurde in die Projektkommission „Interaktives Forum Zivilcourage“ berufen. Holger Lemme, Studienleiter für Arbeit und Wirtschaft, wird in der Projektkommission mitarbeiten, die den Thementag „Ökonomisierung der Lebensbereiche“ vorbereitet. Die Planungen werden im kommenden Monat – selbstverständlich per Videokonferenz – beginnen.
Der Kirchentag und auch der Katholikentag sind seit je her Laienveranstaltungen, deren inhaltliche Gestaltung von berufenen Ehrenamtlichen aus Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und den Kirchen getragen werden. Das Engagement der Studienleiterinnen und Studienleiter der Evangelischen Akademien in Deutschland in den Projektleitungen hat eine lange Tradition.
Wer in den vergangenen Tagen und Wochen die eigenen vier Wände für einen Spaziergang oder etwas Zeit draußen verließ, dürfte vielen verwaisten Orten des sonst täglichen Lebens begegnet sein. Leere Parks, Spiel- und Sportplätze oder Skaterrampen, die mit Absperrband gegen Benutzung gesichert sind. Geschlossene Kitas, Schulen und Jugendtreffs, geschlossene Bars und Cafés, kein Fußballtraining und abgesagte Fahrten und Events – für junge Menschen brechen durch die notwendigen Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 in diesen Tagen viele Orte weg, die soziale Nähe bedeuten. Orte, die sonst auch Raum für Rückzug, Austausch und Erleben bieten. Zu diesen Einschränkungen kommen die Sorgen um verschobene Schul- und Ausbildungsabschlüsse und damit die Frage nach der unmittelbaren Zukunft.
Wie gehen Jugendliche und junge Erwachsene damit um? Was tritt in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen und des Abstands an die Stelle des nachmittäglichen Treffens mit Freunden, eines Kinobesuchs oder der Gespräche auf dem Schulhof? Wohin mit der Energie, wenn man sich nicht zum Sport verabreden kann? Und wo liegen neue Rückzugsorte für Jugendliche, wenn sie 24/7 bei Eltern und Familie sind? Es werden andere Wege gegangen, auch von Zuhause aus mit der Welt zu interagieren. Dabei kann jede und jeder für sich eigene Strategien finden, wie beispielsweise UNICEF es beschreibt. Ablenkung, die Vernetzung mit Freunden oder vielleicht ein neues Hobby – das alles kann helfen, Ängste von Isolation, Einsamkeit und das Gefühl, den Anschluss zu verlieren, zu überwinden.
Auch in der Jugendbildung stehen wir vor der Herausforderung, dass wir Jugendlichen solche Räume des Austauschs, Erkundens und Lernens aktuell nicht mehr wie gewohnt bieten können, denn Veranstaltungen und Freizeiten fallen aus, Tagungshäuser und Jugendbildungsstätten haben geschlossen. Dies bedeutet vor allem, digitale oder andere Möglichkeiten zu erproben, die sich trotz Kontaktbeschränkungen sinnvoll einsetzen lassen. Annika Schreiter berichtete dazu bereits von ihren Erfahrungen, wie beispielsweise Konfirmandenarbeit digital aussehen kann. Dabei entstehen neue Fragen: Welche digitalen Tools können zum Einsatz kommen? Lässt sich ein ursprünglich dreitägiger Workshop gut in ein Online-Format übersetzen? Und wie können eigentlich analoge Elemente wie Aufwärmübungen ins Digitale überführt werden?
In der letzten Zeit haben sich zu diesen Fragen sehr hilfreiche Online-Runden zum kollegialen Austausch, zur Beratung und Weiterbildung zusammengefunden. Das bundesweite Netzwerk der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et) lädt z.B. regelmäßig zur „digitalen Kaffeerunde“ ein, um Fragen zu klären und über Inhalte zu diskutieren. Im Format „Auf einen Kaffee mit…“ kommen Kolleginnen und Kollegen aus der Jugendbildung mit Expertinnen und Experten zu Themen wie digitaler politischer Bildung, Online-Kursen und Zivilcourage im Netz ins Gespräch. Das Kinder- und Jugendpfarramt der EKM wiederum lädt zur gemeinsamen Beratung zu Online-Stammtischen ein.
Jugendarbeit bedeutet im Moment aber auch, an jenen Planungen für Veranstaltungen weiterzuarbeiten, von denen aktuell noch niemand weiß, ob bzw. wann sie stattfinden werden. Bei aller Ungewissheit, die diese Zeit mit sich bringt, stellt sich gleichsam die spannende Frage, wie sie Themen, Inhalte und Formate der Jugendbildung längerfristig verändern wird. Welche Planungen werden wir auch zukünftig digital statt analog vornehmen? Wie beeinflussen die Pandemie und damit verbundene Einschränkungen Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe, gerade auch für Jugendliche? Es lohnt sich und ist nötig, die Gedanken einmal mehr auf Orte und Räume zu richten, die für Jugendliche wichtig sind, an denen sie sich entfalten und verwirklichen können. Nur dann kann es auch gelingen, ihnen in Zeiten wie diesen gute Alternativen dazu zu ermöglichen.