Evangelische Akademie Thüringen

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Herausforderung Einsamkeit: Empfang des Kirchenkreises Wittenberg

  • Altar der Schlosskirche Wittenberg mit Antependium, bestickt von der dänischen Königin Margrethe II. Foto: © Kranich/EAT
    Altar der Schlosskirche Wittenberg mit Antependium, bestickt von der dänischen Königin Margrethe II. Foto: © Kranich/EAT
  • Begegnung, Imbiss und Austausch auf dem Schlosshof. Foto: © Kranich/EAT
    Begegnung, Imbiss und Austausch auf dem Schlosshof. Foto: © Kranich/EAT

Am warmen Sommerabend des 7. Juni trafen sich mehr als 60 Gäste aus Politik, Kirchen und Gesellschaft zum Empfang des Kirchenkreises Wittenberg. Nach einer Andacht sprach Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich in der Schlosskirche zum Thema: „Eine dreifache Schnur reißt nicht leicht entzwei – Herausforderung Einsamkeit“.

Einsamkeit habe gesundheitliche wie gesellschaftlich negative Folgen, so Kranich. In der Corona-Krise seien besonders alte Menschen, isoliert in Pflegeheimen, wie junge Menschen, getrennt vom persönlichen Umgang mit Gleichaltrigen, von Einsamkeit betroffen gewesen – im Sinne eines objektiven Mangels an sozialen Kontakten.

Diese Ausnahme bestätige, was in der Forschung bekannt sei: In Krisen- und Kriegszeiten steige die Einsamkeit an. Der zweite Weltkrieg etwa habe eine intensive Vereinsamung erzeugt. Die Gründe hierfür seien klar: Ganze Generationen traumatisierter Männer seien in ihre Familien zurückgekehrt – falls sie nicht gefallen waren – und hätten dort die Qualität der Familienbeziehungen gemindert. Der Grad an nachhaltiger emotionaler Isolation durch diesen Krieg ließe sich kaum überschätzen. Diese Erkenntnis sei nicht nur eine historische sondern aktuell im Blick auf die Kinder dieser Zeit, die heute alt werden und sind. Sie sei auch mehr als Vergangenheit, wenn man an die Wirkweisen trans- oder intergenerationaler Weitergabe denke.

Unbestreitbar sei, dass Einsamkeit der Gesundheit massiv schade. In Studien sei nachgewiesen: Isoliert lebende Menschen tragen ein höheres Risiko an einem Herzinfarkt, an Durchblutungsstörungen des Gehirns und Störungen des Blutkreislaufs, an Krebs oder an Magen-Darm-Erkrankungen zu sterben. Bei isoliert lebenden Menschen sind die Entzündungswerte im Blut höher. Einsamkeit führt zu einer geringeren Schlafqualität: Nicht so sehr, was das Einschlafen und die Schlafdauer angeht. Aber der Schlaf ist stärker durch Minierwachen fragmentiert als bei Nichteinsamen. Im ersten Corona-Lockdown habe eine 88-jährige Seniorin in einem Caritas-Heim in Graz geäußert: „Die Einsamkeit tut schon weh.“ Und genau das sei wissenschaftlich erwiesen. Denn seit ein paar Jahren sei bekannt: Schmerzen und Alleinseins werden im Gehirn im selben Areal, im limbischen System, verarbeitet.

Der Herausforderung Einsamkeit sei auf zwei Ebenen zu begegnen: Es gelte soziale Isolation zu durchbrechen durch bessere Gemeinschaftsangebote. Und es gelte – für Menschen mit einem subjektiv starken Einsamkeitserleben – psychotherapeutische und seelsorgerliche Angebote zu machen. Darüber hinaus käme es darauf an, dass über Einsamkeit offen kommuniziert werden könne. Einsamkeit dürfe kein individueller Makel mehr sein, den man schamhaft zu verbergen suche. Es sei zu hoffen, dass die Corona-Krisen-Erfahrung uns begreifen lässt: Junge und Alte können einsam sein. Jede und jeder könne im Leben davon betroffen werden. Sei es durch Trennungen oder den Tod des Partners, der Partnerin.

Abschließend bemerkte Kranich: Einsamkeit korreliere eindeutig mit Einkommen. Große Studien zeigten konsistent: Ein höheres Einkommen gehe mit geringerer Einsamkeit einher. Doch zeige sich das Einsamkeitsrisiko auch am anderen Ende der Skala: Die Einsamkeitswerte seien tendenziell auch hoch bei Personen mit höherer Bildung, die in Vollzeit arbeiten. Auch die 60-Tage-und-mehr-Woche oder das Herausgehobensein aus der Gruppe könnten einsam machen.

Hier könne nun das Lob des Alleinseins gesungen werden; des temporären Rückzugs aus den Geschäften an einen Ort der Muße. Doch sei bei einem Empfang besser zur Geselligkeit geraten. So wie es Martin Luther in einem Brief an den unter Depressionen leidenden Theologieprofessor Hieronymus Weller unter anderem geschrieben habe:

„Die Einsamkeit musst du auf jede Weise fliehen, denn so fängt dich dieser Teufel am sichersten und stellt dir nach, wenn du allein bist. […] Daher sollst du mit deiner Frau und den anderen scherzen und spielen, damit du diese teuflischen Gedanken zu Fall bringst, und sei darauf bedacht, dass du guten Mutes bist. […] Suche sofort die Unterredung mit Menschen oder trinke etwas reichlicher.“

Nach einer kurzen Diskussion, bei der es um Einsamkeit und soziale Medien, Einsamkeit in der Großstadt und das individuell sehr unterschiedliche Einsamkeitsempfinden ging, war reichlich Gelegenheit Luthers Worten Folge zu leisten: bei Begegnung, Imbiss und Austausch auf dem Schlosshof.