Evangelische Akademie Thüringen

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Kreuz in Farbe: das Karfreitagsdilemma - oder von der Möglichkeit, hinzuschauen (Online-Aktion "Kreuze" nr 4)

Kreuz 49, „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (80x110) © Andrea Terstappen
Kreuz 49, „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (80x110) © Andrea Terstappen

„Als Jugendliche waren mir Kruzifixe äußerst unangenehm. Ein Kreuz konnte ich nicht betrachten ohne an Folter, Grausamkeit, Leiden und Tod zu denken. Als Symbol trug es diese dunkle und schwere Seite immer mit sich, egal wie neutral es in Form und Material gestaltet war. Ich denke noch heute mit innerem Grauen an die in der Kindheit jährlich besuchten Karfreitagsgottesdienste, zu denen mich meine Oma mitnahm. Die Zeremonie der Kreuzwegstationen in allen Einzelheiten – hier wurde Jesus gedemütigt, dort brach er zusammen, hier wurden ihm die Nägel in die Hände geschlagen – verursachte mir Übelkeit. Der Hinweis, dies alles wurde auch für mich erlitten, entsetzte mich. Ich wollte nicht, dass irgendjemand, geschweige denn ein offensichtlich guter Mensch, für mich solche Qualen erdulden und in so jungen Jahren sterben musste. Lieber wäre mir gewesen, Jesus hätte für mich noch länger gelebt, wäre wenigstens so alt geworden wie Gandhi, hätte eine gute Zeit verbracht mit seinen Jüngern und Maria Magdalena, vielleicht auch eigene Kinder gehabt und mehr Gelegenheit für viele Wunder. Völlig unmöglich war es mir deshalb, ein Kreuzsymbol, zum Beispiel als Halskettchen, an mir zu tragen.

So sehr ich bei Kreuzen gerne wegschaute, war wiederum alles Bunte und Gemusterte ein Blickfang für mich. Nichts versetzte mich so sehr in eine tiefzufriedene, meditative Entspannung wie das Visualisieren von Farben und Mustern und die Beschäftigung mit deren Zusammenspiel. In unserer Kapelle hing damals ein textiles Kreuz als Wandteppich, gewebt, geknüpft und genäht aus vielen bunten Fäden und Stoffen. Eingeknüpft mit roter Wolle waren sogar die Blutstropfen aus Händen und Füßen und in der Herzmitte symbolisch ein rotes Etwas aus Stoff. Meine Augen blieben stets daran hängen, webten im Geiste noch andere Fäden ein, fügten andere Farbtöne hinzu oder lösten störende Teile heraus.

Ein Dilemma blieb es allemal: Das Kreuz an sich und die unmissverständlichen Hinweise auf Gewalt und Schmerz im Detail – ein Grund zum Wegschauen. Die bunte, weiche Wolle, das Webmuster, die Freude an der Gestaltung – eine Faszination. Kein Kompromiss erwuchs aus diesen beiden Gefühlslagen, aber doch eine Möglichkeit: hinzuschauen und sich dem Kreuz als Form und Symbol über den Weg der Farben zu stellen.“

(Text: Sabine Zubarik)