Evangelische Akademie Thüringen

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Von Macht und Ohnmacht der Sprache – Tagungseindrücke

Der Autor Durs Grünbein im Gespräch mit dem Sprachwissenschaftler Prof. Wolfgang Klein über Ohnmacht und Macht in der Sprache. Foto: © Kranich / EAT
Der Autor Durs Grünbein im Gespräch mit dem Sprachwissenschaftler Prof. Wolfgang Klein über Ohnmacht und Macht in der Sprache. Foto: © Kranich / EAT

Sprache erzielt Wirkung: Viele würden sich Christen nennen, aber nicht alle als solche leben. So lautete die Predigtbotschaft der heutigen Präsidentin des Verbands der Redenschreiber deutscher Sprache als 13-Jährige in einem Gottesdienst. Anders als befürchtet erntete sie hierfür keine Kritik, sondern breite Zustimmung.

Diese frühe Ermächtigung und Wirksamkeit durch Sprache erinnerte Jacqueline Schäfer beim öffentlichen Podium zu den „Dimensionen der öffentlichen Rede“ im Stadthaus Wittenberg. Sprache als Mittel der bisher Ungehörten und der Machtlosen: Darauf hatte zuvor schon der Autor Durs Grünbein verwiesen, im Rückblick auf die Sprüche und freien Reden in der Herbstrevolution 1989.

Das emanzipatorische Potential von Sprache: Es war ein wichtiger Kontrapunkt auf einer Tagung in Zeiten der Sprachverdrehung und misslingenden Verständigung. Denn: Was ist zu tun, wenn ein Krieg nur „Spezialoperation“ genannt werden darf? Was ist zu tun, wenn im Streit über Corona-Regeln Menschen zwar die gleiche Sprache sprechen, aber eine Verständigung nicht möglich ist? Wie kann es überhaupt gelingen, eine eigene Stimme zu finden?

Bei der Tagung „Sprache der Macht – Macht der Sprache“ wurde anlässlich des Jubiläums von 500. Jahren Luthers Bibelübersetzung in Wittenberg vom 29. April bis 1. Mai darüber eifrig diskutiert. Zwei Denkanstöße von dieser Kooperationstagung der Evangelischen Akademien Sachsen-Anhalt und Thüringen seien mitgeteilt:

Die ehemalige stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung Ulrike Demmer rief dazu auf, den Kampf gegen „Big Data“ als Kampf für die Demokratie mit Mitteln der Demokratie zu führen. Auch wenn es ein Ringen wie David gegen Goliath sei, müsse der Stimmungsmache aus wirtschaftlichen Interessen als einer Gefahr für die Demokratie gewehrt werden.

Der Wittenberger Studienleiter Paul Martin formulierte im Blick auf Luthers Bibelübersetzung prägnant: Das Buch hat einen großen Nachteil. Alle können es lesen, ob sie Ahnung haben oder nicht. Mit der Lese- und Sprechfähigkeit fingen die Auseinandersetzungen erst an, wie der Reformator selbst es schon erfahren musste.

Am Abschluss der Tagung stand ein Gottesdienst mit einer Kanzelrede von Wolfgang Schäuble in der Stadtkirche. Man müsse dem Volk auf’s Maul schauen, solle ihm aber nicht nach dem Mund reden, so lautete Schäubles Eingangsstatement. Wie komplex der Zusammenhang von vermitteln, überzeugen, Interessen durchsetzen und Wähler:innen gewinnen im politischen Raum tatsächlich ist, ließen seine Antworten im Nachgespräch erahnen.