Evangelische Akademie Thüringen

Veranstaltungen 2009

30. April – 03. Mai 2009

Akademie Haus Sonneck bei Naumburg

Zur Genealogie der Moral

Nietzsches Streitschrift zur Umwertung der Werte

„Zur Genealogie der Moral“ ist zweifellos Nietzsches konsequentestes Werk: der Philosoph stellt eine dreitausendjährige Tradition der Moralhochschätzung in Frage, er hebt ihren Geltungsanspruch aus den Angeln. Folgerichtig wird eine „Umwertung“ der überlieferten Wertschätzungen in Gang gesetzt.

Auch interessiert uns die Frage, was Nietzsches Entdeckung der Herkunftsgeschichte der Moral für unsere moralischen Wertungen und Urteile bedeutet. Könnte es sein, dass seither alles Verhaften in alten Sittlichkeiten den Geruch der Naivität angenommen hat? Sind wir vielleicht mehr in die Verantwortung genommen als vorher?

Neben den Grundzügen aus „Die Genealogie der Moral“ werden auch Passagen aus dem vorangegangenen Buch „Jenseits von Gut und Böse“ in die Diskussion eingebracht.

Wir nutzen die Chance eines verlängerten Wochenendes für vier intensive Tage in den Weinbergen über dem Zusammenfluss von Saale und Unstrut bei Naumburg. Auch diesmal gibt es eine Mischung aus Gesprächen, Vortrag, Textlektüre, einen Ausflug in die ehemalige Zisterzienserabtei Schulpforta, wo Nietzsche zur Schule ging, und nicht zuletzt einen bekannten Film, den wir aus der Perspektive der Philosophie Nietzsches sehen wollen.

Seminarleitung:
Dorothea Höck,Evangelische Akademie Thüringen

Referenten:
Dr. Gerd B. Achenbach, Bergisch Gladbach, Philosoph, Begründer der Philosophischen Praxis
Carsten Passin, Gniest, Philosoph, philoSOPHlA e.V.

Kinderbetreuung:
wird bei Bedarf angeboten, dazu s.u.

Programm

Donnerstag, 30. April 2009

Anreise bis 18 Uhr und Abendessen

19.00 Uhr
Einführungsvortrag
„... mit der Notwendigkeit, mit der ein Baum seine Früchte trägt, wachsen aus uns unsre Gedanken, unsre Werte, unsre Jas und Neins und Wenns und
Obs ...”
Was Nietzsche zur Fortsetzung seines Projekts „Jenseits von Gut und Böse” nötigte; wie „moralisch” ist eigentlich Moral? und: zum Philosophieverständnis Nietzsches.   


Freitag, 1. Mai 2009

9.30 Uhr  
„Diese Psychologen – ... man sagt mir, dass es einfach alte, kalte, langweilige Frösche seien, die am Menschen herum, in den Menschen hinein kriechen.”
Nietzsche wirft einen Blick auf die psychologische Einschätzung der Moral. Ist da „ein heimlicher, hämischer, gemeiner, seiner selbst vielleicht uneingeständlicher Instinkt der Verkleinerung des Menschen” am Werk?

Außerdem: die großen Unterscheidungen der ersten Abhandlung: „gut” und „böse”, „gut” und „schlecht”.

Nachmittag:
wandern oder fahren wir (je nach Wetter) zur ehemaligen Zisterzienserabtei Schulpforta, eine der berühmtesten Eliteschulen Deutschlands. Hier gingen u.a. Klopstock, Fichte und Nietzsche zur Schule. Carsten Passin wird uns dort sachkundig führen.

Abend:
Das Christentum, „das zwei Jahrtausende gebraucht hat, um zum Siege zu kommen ...”
Im Mittelpunkt unserer Gesprächsrunde steht eine Passage, in der einige der „heiligsten” Gegenwartsempfindlichkeiten angegriffen werden (dazu: Nr. 8 und 16. der 1. Abhandlung der "Genealogie").

Samstag, 2. Mai 2009

9.30 Uhr
„... aus dem Raubtiere ‚Mensch’ ein zahmes und zivilisiertes Tier, ein Haustier herauszuzüchten” – das sollte „der Sinn aller Kultur” gewesen sein?
Nietzsches Entdeckung des Ressentiments als moralische Triebkraft.

Nachmittag:
„Die reifste Frucht an ihrem Baum: das souveräne Individuum”, „der Mensch des eigenen unabhängigen langen Willens, der versprechen darf ...”
Die zweite Abhandlung: „‚Schuld’, ‚schlechtes Gewissen’ und Verwandtes”.

Abend:
Der Film „High Noon” von Fred Zinnemann mit Gary Cooper ist vielleicht der berühmteste „Western” überhaupt. Doch nach Auskunft des Regisseurs trägt er „nur ein Western-Kostüm”. Wir werden diesen Filmklassiker vielleicht nach unserer Nietzsche-Lektüre mit anderen Augen sehen.

Sonntag, 3. Mai 2009

9.00 Uhr:
Sonntagslesung
Pfarrerin Dorothea Höck   

9.30 Uhr
„... eine ungeheure Lücke umstand den Menschen – er wusste sich selbst nicht zu rechtfertigen, zu erklären, zu bejahen, er litt am Probleme seines Sinnes.”
Als Abschluss und Höhepunkt, die dritte und letzte Abhandlung des Buches: „Was bedeuten asketische Ideale?”

Ende des Seminars:
Sonntag gegen 13 Uhr mit dem Mittagessen.

Und hier noch zwei Zitate, die neugierig machen sollen:

„Sieht man vom asketischen Ideale ab: so hatte der Mensch, das Tier Mensch bisher keinen Sinn. Sein Dasein auf Erden enthielt kein Ziel; .. etwas fehlte, ... eine ungeheure  Lücke umstand den Menschen Er wußte sich selbst nicht zu rechtfertigen, zu erklären, zu bejahen, er litt am Probleme seines Sinns. Er litt auch sonst, er war in der Hauptsache ein krankhaftes Tier: aber nicht das Leiden selbst war sein Problem, sondern daß die Antwort fehlte für den Schrei der Frage »wozu leiden?« Der Mensch, das tapferste und leidgewohnteste Tier, verneint an sich nicht das Leiden; er will es, er sucht es selbst auf, vorausgesetzt, daß man ihm einen  Sinn dafür aufzeigt, ein Dazu des Leidens. Die Sinnlosigkeit des Leidens, nicht das Leiden, war der Fluch, der bisher über der Menschheit ausgebreitet lag -”


„Von Zeit zu Zeit gönnt mir ... einen Blick, gönnt mir einen Blick nur auf etwas Vollkommenes, zu-Ende-Geratenes, Glückliches, Mächtiges, Triumphierendes ..., auf einen komplementären und erlösenden Glücksfall des Menschen, um deswillen man den Glauben an den Menschen festhalten darf!”



Tagungsleitung

  • Dorothea Höck