Evangelische Akademie Thüringen

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9. Thüringer Arbeitszeitkonferenz am 2. und 3. März 2023

  • Podiumsdiskussion der 9. Arbeitszeitkonferenz. Foto: © Lübbers/EAT
    Podiumsdiskussion der 9. Arbeitszeitkonferenz. Foto: © Lübbers/EAT
  • Workshoprunde mit Dr. Steffen Liebig. Foto: © Lübbers/EAT
    Workshoprunde mit Dr. Steffen Liebig. Foto: © Lübbers/EAT
  • Rede der Thüringer Ministerin Heike Werner. Foto: © Lübbers/EAT
    Rede der Thüringer Ministerin Heike Werner. Foto: © Lübbers/EAT

Der Sonntag, genauer: der freie Sonntag, ist seit mehr als 1.700 Jahren kein Tag wie jeder andere. Er hat sogar auch einen Tag, einen internationalen. Sie verstehen nicht recht? Dann vielleicht so: Der Internationale Tag des freien Sonntags wird jedes Jahr am 3. März begangen. Der römische Kaiser Konstantin erklärte am 3. März 321 nach Christus den Sonntag erstmals für arbeitsfrei. An der Evangelischen Akademie Thüringen ist dieser Termin mittlerweile zum neunten Mal mit der Ausrichtung der Thüringer Arbeitszeitkonferenz verbunden.

Arbeit und Arbeitszeit geraten in Krisenzeiten mehr und mehr unter Druck. Unter dem Titel „Kalte (Arbeits-)Zeiten? Krisenwinter, Klassenfrage, Konsequenzen“ wurden deshalb auf der diesjährigen Arbeitszeitkonferenz aktuelle Fragen von Arbeitszeit, Arbeitsschutz und Verteilungsgerechtigkeit reflektiert und diskutiert. Traditionell nahmen gesundheitliche und gesellschaftliche Perspektiven auf die Arbeitswelt großen Raum ein.

Eingeleitet wurde die Tagung durch drei Impulsvorträge zu den Themen Ist die Arbeit noch der Kitt der Gesellschaft?, Die Krise trifft alle – aber nicht gleichermaßen und Kommt Zeit, kommt Recht? Die Arbeitszeiterfassung als rechtliche Anspruchsgrundlage. Anschließend diskutierten über 30 Teilnehmende aus Personal- und Betriebsräten, Mitarbeitervertretungen der Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitsschutzbehörden, aber auch Interessierte aus Ehrenamt und zivilgesellschaftlichen Organisationen mit den Referent:innen.

Gemeinsame Workshops boten genügend Zeit und Raum zur fachlichen und persönlichen Reflexion. Dabei wurde die Praxis- und Ergebnisorientierung nicht vernachlässigt. Eines der Ziele war die Erarbeitung zentraler Fragen an die Politik, mit denen die Teilnehmenden in offener Atmosphäre aktiv und direkt auf ein Podium mit Gästen aus der Thüringer Landespolitik zugingen. Rede und Antwort standen Diana Lehmann (SPD), Ann-Sophie Bohm (Bündnis 90/Die Grünen) und Ralf Plötner (Die Linke). CDU und FDP entsandten trotz Einladung keine Vertretung. Die Thüringer Arbeits- und Sozialministerin Heike Werner (Die Linke) hielt im Vorfeld des Podiums einen Vortrag und stand ebenfalls für Fragen zur Verfügung.

Die debattierten Inhalte der Arbeitszeitkonferenz 2023 waren breit gestreut. Das betraf schon den Arbeitsbegriff als solchen: Neben der bekannten lohnorientierten Erwerbsarbeit kamen auch andere Arbeitsformen zur Sprache, die meist wegen fehlender Bezahlung nicht als „ökonomisch“ gelten. Diese haben jedoch eine grundlegende Bedeutung für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft. In Erziehung, Ehrenamt und freiwilligen sozialen Diensten bis hin zu Vereinen und Verbänden herrscht die Sorgearbeit vor. Viele Teilnehmende kritisierten nicht nur die nach wie vor bestehende Benachteiligung von Frauen in der (Erwerbs-)Arbeitswelt. Zunehmend gerate auch das Ansehen von ehrenamtlicher Arbeit für das Gemeinwesen unter Druck, was sich nicht zuletzt in gewaltsamen Angriffen gegen Feuerwehr und Rettungsdienste zeige und sich in mangelnder materieller Anerkennung und Ausstattung niederschlage.

Daran anschließend war die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in krisenhaften Zeiten ein weiteres wichtiges Thema der Konferenz. Ministerin Heike Werner brachte in ihrer Gastrede neben dem treffenden Begriff „Stapelkrise“ auch den grundlegenden Wandel zur Sprache, vor dem Wirtschaft und Gesellschaft stünden. Diese sozial-ökologische Transformation bringe zwar angesichts sozialer Verteilungsungerechtigkeit und ökologischer Belastungen durch die Klimakrise große Herausforderungen mit sich, sei aber auch eine Chance, sich der Bedeutung von Werten jenseits von Erwerbsarbeit und Konsum bewusster zu werden. Den Phänomenen der Entsolidarisierung und Individualisierung in der Gesellschaft hielt sie den gemeinsamen Schutz der Lebensgrundlagen und soziale Gerechtigkeit entgegen. In diesem Sinne begrüßte sie Zusammenschlüsse von Klimabewegung und Gewerkschaften. Am gleichen Tag traten diese erstmals in Gestalt von Fridays for Future und der Gewerkschaft ver.di deutschlandweit in Erscheinung.

Über allen Diskussionen der Arbeitszeitkonferenz stand das umstrittene Zitat des Hauptgeschäftsführers der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter: „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit“, verbunden mit der Ansage: „Die Realität ist: Wir werden länger arbeiten müssen – das braucht unser Land“. Diese kürzlich in Reaktion auf die Krisen der Zeit geäußerten Worte aus Arbeitgeberkreisen hatte Studienleiter und KDA-Referent Frank Fehlberg zur Eröffnung der Arbeitszeitkonferenz in den Raum gestellt. Sie waren auf lautes Auflachen und Ablehnung gestoßen.

Im Laufe der Arbeitszeitkonferenz verfestigte sich die Auffassung, dass der Äußerung Steffen Kampeters entgegengetreten werden müsse. Die anwesenden Landesallianzen für den freien Sonntag in Sachsen-Anhalt und Thüringen – ihrerseits Interessengemeinschaften von Kirchen und Gewerkschaften – forderten statt dem verkürzenden „mehr Bock auf Arbeit“ mehr „Bock auf Gute Arbeit“, gepaart mit „mehr Zeit zum Leben, Lieben und Lachen“. Sie sprachen sich gegen Arbeitszeitentgrenzung und Arbeitszeitverlängerungen aus und zeigten sich entschlossen, die Bestimmungen des Arbeitsschutzes – nicht nur für den freien Sonntag – zu verteidigen, durchzusetzen und auszubauen.

Ministerin Heike Werner kritisierte die Forderungen Steffen Kampeters vom BDA ebenfalls. In ihrer Rede, gehalten am eingangs genannten Internationalen Tag des freien Sonntags 2023, stellte sie sich unmissverständlich an die Seite der Sonntagsallianzen: „Die Transformation kann nur erfolgreich gelingen, wenn sie sozial und ökologisch gerecht gestaltet wird. Gerade in diesen Zeiten ist es sehr bedenklich, wenn man den Menschen unterstellt, dass sie keinen Bock auf Arbeit hätten und erneut das Arbeitszeitgesetz oder Ladenöffnungsgesetz angreift.“