Evangelische Akademie Thüringen

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Ein Moratorium für Identitätspolitik?

Fenster (Detail) in der Bibliothek der Evangelische Akademie Abt Jerusalem, Braunschweig (c) Sebastian Kranich
Fenster (Detail) in der Bibliothek der Evangelische Akademie Abt Jerusalem, Braunschweig (c) Sebastian Kranich

Einen verblüffenden Vorschlag machte Prof. Andrea Geier (Universität Trier) in ihrem Vortrag „Über die Kritik an Identitätspolitiken“:
Man solle am besten für einige Zeit auf den Begriff „Identitätspolitik“ verzichten. Denn das, was eine progressive Identitätspolitik wolle, werde derzeit in einer erregten Debatte vermengt mit den Zielen rechtsnationaler Identitätspolitiken von Putin über Orban und der AFD bis hin zur völkisch-aktionistischen Identitären Bewegung.

Damit war der Grundton gesetzt für den Austausch über das Thema „Identitätspolitiken und plurale Demokratie“ beim Theologischen Kolloquium der Ev. Akademien in Deutschland am 18. und 19. Januar in der Ev. Akademie Abt Jerusalem, Braunschweig.

Debattiert wurden in der Folge die unterschiedlich gelagerten Probleme, die es Schritt für Schritt anzugehen gilt, wie etwa die Unterrepräsentation von Frauen in Leitungsämtern, die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen, aber auch die Benachteiligung von nichtweißen Menschen bei der Wohnungssuche oder die Diskriminierung von Menschen per Vornamen.

Es ging um jüngere Frauen, denen in Leitungsgremien unterstellt wird, sie seien bloß weil sie Frauen sind in dieses Gremium gekommen. Es ging um die Gefühle, die man hat, wenn man als einziger Weißer in Südafrika mit in einem Supermarkt mit schwarzen Menschen ist oder als einzige schwarze Frau unter weißen Menschen. Es ging aber auch um die Identifizierung und Klassifizierung als ostdeutsch, verbunden mit der Wahrnehmung einer Abweichung von der westdeutschen Norm und Normalität.

Wie aber lassen sich solche Erfahrungen zur Sprache bringen und solche Muster bewusst machen? Wie lassen sie sich als Probleme und Aufgaben erfassen und dann mit konkreten Maßnahmen und Methoden bearbeiten und lösen?

Diese Fragen bei praktischen Entscheidungen im Blick zu haben sei unabdingbar, so der allgemeine Tenor. Denn in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft müssen alle Chancen auf Zugang haben und die Möglichkeit, weitgehend ohne Diskriminierungserfahrungen zu leben.