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Lanzelot, oder: Werdet nicht der Menschen Knechte. Theologischer Impuls

Lanzelot Karten Foto:© EAT
Lanzelot Karten Foto:© EAT

Vielleicht hatten sie das Glück eine Karte zu bekommen. Denn nach begeisterten Kritiken waren die Aufführungen der Oper Lanzelot in Weimar rasch ausverkauft. Ich habe das Stück schon erleben dürfen. Mein Sitznachbar war dazu extra aus Stuttgart angereist.
Die Geschichte ist kurz zu erzählen: Ein Drache, der die Menschen angeblich vor Urzeiten von der Cholera errettet hat, verheiratet sich jährlich mit einer Jungfrau, die er anschließend frisst. Die Menschen dulden seine Herrschaft. Sie sind es nicht anders gewohnt. Sie haben sich eingerichtet in einer Welt aus Lügen, Selbsttäuschung und Bequemlichkeit. Sie lassen den Drachen einfach machen.
Irgendetwas scheinen sie davon zu haben. Denn als Lanzelot auftaucht, sich in Elsa, die nächste Braut des Drachens verliebt, sich mit ihr verbündet und um sie gegen den Drachen kämpfen will, da versuchen die Einwohner alles, das zu verhindern. Sie verweigern ihm die Waffen zum Kampf und machen ihn lächerlich. Doch Lanzelot nimmt den Kampf auf und tötet den Drachen.
Danach scheint Lanzelot verschollen. Das ist die Stunde des Bürgermeisters, des ersten Dieners des Drachens. Er gibt sich selbst als Drachentöter aus, lässt sich feiern und beginnt zu herrschen: als neuer Drache.
Offenbar kennen und wollen es die Menschen nicht anders. Nach kurzem, heftigen Freiheitsjubel, nach einem Moment der offenen Gefängnistore, da wird wieder alles zum alten, bis Lanzelot – schwer gezeichnet vom Kampf – erscheint.
Der wirkliche, der wahre Held steht am Bühnenrand und singt: „Wie soll ich aus diesen Puppen Menschen machen?“
Was die Geschichte von Lanzelot erzählt, das vermag den Blick auf den Monatsspruch für Februar zu weiten: „Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.“ (1.Korinther, 7,11)
Damit meint Paulus: Dass ihr jetzt frei seid, das hat etwas gekostet, das war richtig teuer. Dass der alte Drache besiegt worden ist, wie es auch auf der Mitteltafel des Cranach-Altars in der Herderkirche Weimar zu sehen ist, das hat einem das Leben gekostet. Verwundet in einem Kampf auf Leben und Tod hängt er am Kreuz.
Deshalb: Seid euch eurer Freiheit bewusst und schätzt sie. Denn Paulus weiß nur zu genau, was auch wir wissen können: Kaum befreit suchen Menschen sich nur allzu gern neu-alte Herren und Dinge, die sie knechten.
Eben davon erzählt die Geschichte der Diktaturen auf dieser Welt, die Paul Dessau und Heiner Müller 1969 in Ostberlin mit Lanzelot auf die Bühne gebracht haben. Wer die Neuinszenierung von Peter Konwitschny gesehen hat, wird sich dabei immer wieder fragen: Ist es heute so viel anders?
Herrschen nicht vielerorts Typen, die sich wie der Drache in der Oper gebärden – getragen von der Lust der Selbstunterwerfung und der Unterwerfung anderer? Offenbar steckt diese Lust Menschen tief im Fleisch.
Lanzelots Stoßseufzer lautet: „Wie soll ich aus diesen Menschen Puppen machen?“
In der Oper wird erzählt, dass Lanzelot den Drachen tausendmal tötet und dass der Drache tausendmal zu neuem Leben erwacht: ein ewiges Hin- und Her. Immerhin: Es gibt offenbar immer wieder neue Lanzelots und Elsas, die es hoffnungsfroh mit dem Drachen aufnehmen.
Doch der Weimarer Cranach-Altar zeigt noch etwas anderes, oder besser: etwas nicht. Das Schwert für den Drachenkampf, dass Lanzelot in der Operninszenierung schwingt, fehlt. Der verwundete Auferstandene bezwingt den Drachen mit einer Lanze aus Licht.
Denn dieser Jesus ist kein ritterlicher Held, wie er im Buche steht. Zwar hat ihn Cranach ihn schön gemalt. Doch Luther dichtet: „Er nimmt an eines Knechts Gestalt.“
Also: Er sieht aus wie du Mensch und ich Mensch. Doch er ist anders. Er ist kein Drachenknecht. Sich einzurichten in einer Welt aus Lügen, Selbsttäuschung und Bequemlichkeit, das ist seine Sache nicht. Er fordert den Drachen heraus auf seine lichthelle, gewaltlose Weise. So trifft er ihn dort, wo er tödlich verwundbar ist. Denn der Drache versteht sich nur auf Gewalt. 13 Schlagzeuger begleiten ihn in der Oper und erzeugen einen infernalischen Lärm.
Diesem Jesus aber hat der Drache am Ende nichts entgegenzusetzen: Ihm muss er sich beugen. Ihm und all denen, die ihre Angst verlieren vor dem lärmenden, feuerspuckenden Untier.
Er muss sich all denen beugen, die sich weigern, fortan unter der Herrschaft des Drachen zu leben. Denen, die ihm und seinen Leuten den Knechtsdienst verweigern. Weil sie wissen: Wir sind teuer erkauft.
Übrigens: Am 16. Mai feiert Lanzelot in der Oper Erfurt Premiere. Weitere Termine: 22. Mai, 03. Juni, 13. Juni, 21. Juni. Noch sind Karten verfügbar.