Evangelische Akademie Thüringen

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Nazifizierung und „Entjudung“ des Kirchenraums in Thüringen. Neue Videos zum „Braunen Erbe“ online

Der im 18. Jh. gestaltete Gottesname am Kanzelaltar der St. Marienkirche Bad Berka wurde 1934 durch ein Kreuz der Deutschen Christen ersetzt und 2018 rekonstruiert und zurückgebracht.
Der im 18. Jh. gestaltete Gottesname am Kanzelaltar der St. Marienkirche Bad Berka wurde 1934 durch ein Kreuz der Deutschen Christen ersetzt und 2018 rekonstruiert und zurückgebracht.

Morgen jährt sich das Gedenken an die Novemberpogrome vor 83 Jahren. In der Nacht des 9. November 1938 wurden ca. 1400 Synagogen und Gebetshäuser beschädigt und zerstört. Tausende jüdische Menschen wurden gefangen genommen und viele ermordet. Das Pogrom war ein massiver Gewaltakt gegen die jüdische Kultur und Religion. Diese Tat wurde von den Deutschen Christen begrüßt. Viele nationalsozialistische Christen setzten sich darüber hinaus für eine sogenannte „Entjudung“ des Christentums ein. Neben Theologie, Liturgie und Kirchenmusik betraf dies auch die kirchlichen Kunst- und Bauwerke.

Die Vorträge auf der Tagung „Braunes Erbe“ von Dr. Jochen Birkenmeier und Michael Weise zur „Entjudung“ thüringischer Kirchen sowie von Pfarrer Ulrich Spengler zur deutschchristlichen St. Marienkirche in Bad Berka legten den Fokus auf die Umgestaltung des Kirchenraums im Nationalsozialismus.

Diese Umgestaltungen geschahen unsystematisch, nicht zeitgleich, und meist ohne große Öffentlichkeit. Zu sehr scheute man den Vorwurf einer unkontrollierten Bilderstürmerei oder den Widerspruch der Gemeinden, schildert Michael Weise.

Die St. Marienkirche wurde beispielsweise bereits 1934 im Zuge einer Restaurierung und Renovierung umgestaltet. Der zuständige Pfarrer Rudolf Heubel brüstete sich damit, dass St. Marien damit die erste deutschchristliche Kirche in Thüringen sei. An der Orgelempore prangte nun der Spruch der Deutschen Christen: „Unser Auftrag ist Deutschland, unsere Kraft ist Christus“. Es wurde ein Lüftungsgitter aus Hakenkreuzen installiert und eine Hakenkreuzfahne hinter den Altar gehängt. Gleichzeitig ersetzte man den Gottesnamen in hebräischen Lettern (יהוה= JHWH) durch das Kreuz der Deutschen Christen und arisierte die Emporenbilder. Sie zeigten nun ein blondes und blauäugiges Jesuskind.

Nicht in allen Kirchenräumen wurde so schnell eine Umgestaltung vorgenommen. Bis 1939 hatte die „Entjudung“ des Kirchenbaus nicht überall Priorität, sondern vielmehr die neue völkische Theologie und Liturgie. Auch gab es keine einheitlichen Richtlinien dafür, wie mit jüdischen und alttestamentarischen Symbolen und Bildern umgegangen werden sollte. Das im Mai 1939 gegründete „Entjudungsinstitut“ in Eisenach sollte sich dieser Frage annehmen. Aus der Eisenacher Georgenkirche wurden schließlich auch alttestamentarische Sprüche und Bilder entfernt. Eine allgemeingültige Systematik schuf das Institut aber nie, wie Dr. Birkenmeier feststellte. Dennoch: Die vorgenommenen Umgestaltungen waren Teil einer antijüdischen und antisemitischen Haltung der christlichen Akteure. Die entstandenen Schäden können nicht mehr vollständig nachvollzogen oder rückgängig gemacht werden. Ulrich Spengler skizzierte in seinem Vortrag, wie holprig der Umgang mit der NS-Umgestaltung in der Bad Berkaer Kirche verlief. Erst durch seine Initiative ab dem Jahr 2008 wurde der Gottesname wieder in die Kirche zurückgebracht. Das Hakenkreuzgitter verließ endgültig die Kirche und wanderte ins Museum nach Eisenach.

Die Videos zu den Vorträgen sind jetzt abrufbar:
Birkenmeier/Weise
Spengler