Evangelische Akademie Thüringen

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Ran an das „Braune Erbe“

  • Podiumsgespräch am 19. Juni 2021 bei der ersten Präsenztagung nach dem Corona-Lockdown. Foto: © Kästner/EAT
    Podiumsgespräch am 19. Juni 2021 bei der ersten Präsenztagung nach dem Corona-Lockdown. Foto: © Kästner/EAT
  • Gesprächsgruppen zum praktischen Umgang mit dem "braunen Erbe". Foto: © Kästner/EAT
    Gesprächsgruppen zum praktischen Umgang mit dem "braunen Erbe". Foto: © Kästner/EAT
  • Morgenandacht mit Prof. Dr. Christopher Spehr am Sonntag im Garten des Zinzendorfhauses. Foto: © Kästner/EAT
    Morgenandacht mit Prof. Dr. Christopher Spehr am Sonntag im Garten des Zinzendorfhauses. Foto: © Kästner/EAT

Wir müssen da nochmal ran: Diese Einsicht wurde im Laufe der Tagung über die NS-Symbolik in unseren Kirchen vom 18.-20. Juni in Neudietendorf immer klarer. Zwar hat das, was 2017 mit der Debatte um die „Hitler-Glocke“ in Herxheim am Berg (Rheinland-Pfalz) begann und 2018 die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) erreichte, bereits zu Konsequenzen geführt:

Die „Nazi-Glocke“ aus Tambach-Dietharz steht im Museum Lutherhaus in Eisenach, die aus Rettgenstedt ist abgenommen und wird in eine Ausstellung vor Ort integriert. Und geläutet wird keine der neun Glocken in der EKM mehr, die die Jahrzehnte in Kirchtürmen überdauert hatten.

Aber die Geschichte ist damit nicht erledigt. Denn Geschichte lässt sich überhaupt nicht „erledigen“, nicht immer „bewältigen“. Aber aufarbeiten lässt sie sich. Dafür stehen wir als Zeitgenossen jetzt in der Verantwortung, wie auch immer die Verantwortlichen in den letzten Jahrzehnten mit dem „Braunen Erbe“ umgegangen sind.

Denn das Problem sind nicht nur ein paar Glocken. Und ein Schleifgerät, mit dem man die Inschrift, das Hakenkreuz oder das Hitler-Bild entfernt, ist auch nicht die Lösung.

Ganz Offensichtliches lässt sich vernichten. Und so kamen die Schleifgeräte schon 1945 zum Einsatz. Doch vieles, was wir aus der Nazi-Zeit geerbt haben, wird gar nicht als „Braunes Erbe“ erkannt. Architektur bleibt oft unerkannt stehen. Und wer vermutet schon in einer hübschen Blümchenwiese an der Kirchendecke den „NS-Heimatschutzstil“, wenn ihm nicht irgendwann die kleinen Hakenkreuze in der Wiese auffallen?

Das Erbe als solches überhaupt erst einmal zu erkennen, wurde auf der Tagung als Aufgabe formuliert. Wenn etwa Maria und das Jesuskind plötzlich „arisch“ hell erblonden oder der Gekreuzigte wie ein Body-Builder aussieht, sind das Indizien für NS-Kunst.

Dazu kommt das, was fehlt. Denn Davidsterne und hebräische Schriftzeichen wurden im Dritten Reich aus Kirchen entfernt, letztere etwa mit dem Argument, einfache Leute könnten diese ohnehin nicht lesen. Doch muss man z. B. schon auf alte Fotos schauen, um zu erfahren, was einmal da war. So wie beim hebräischen Gottesnamen auf dem Altar in der Marienkirche in Bad Berka, der jetzt wieder angebracht ist.

Über den engeren Zeitraum 1933-45 hinaus bleibt auch der Umgang mit den Kriegstoten virulent. Denn Kriegerdenkmale in vielen Orten transportieren in Form, Gestaltung und Inschriften einen Geist, der militaristisch-heldenverehrend oder auch mahnend-opfergedenkend weht. Zum Umgang mit den Denkmalen äußerte der Historiker Dr. Justus H. Ulbricht:

Für die „zivilgesellschaftlichen oder offiziösen Debatten ist die Weiterexistenz dieser Denkmäler als Denkanstoß und Zeitzeichen unverzichtbar und wichtig. Wer nach der Abrissbirne ruft, ohne die eigene einzuschalten, ist – so meine ich – auf dem Holz- oder Irrweg einer erinnerungskulturellen Praxis, die meint, das Vergangene aus dem Blickwinkel der je eigenen Gegenwart korrigieren oder zum Verschwinden bringen zu müssen.“

Den Beitrag von Justus H. Ulbricht können Sie hier nachlesen.

Wir müssen noch einmal ran. Und wir gehen noch einmal ran. Wissenschaftlich sollen in einem Projekt am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der FSU Jena die „Nazi-Glocken“ erforscht werden. Praktisch ist eine Weiterbildungsveranstaltung für Ehrenamtliche, Pfarrerinnen und Pfarrer sowie die Erstellung einer Handreichung für die Praxis geplant.