Evangelische Akademie Thüringen

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„Sag mir, wo Du stehst!“ – Kirchen und christliches Leben in der DDR

Rückfragerunde mit Prof. Martin Onnasch, Prof. Peter Maser, Prof. Jörg Seiler (v.l.n.r.). Foto: © Kranich/EAT
Rückfragerunde mit Prof. Martin Onnasch, Prof. Peter Maser, Prof. Jörg Seiler (v.l.n.r.). Foto: © Kranich/EAT

Ziemlich daneben oder clever? Bevor die gleichnamige Tagung losging, waren beide Meinungen zu hören. Dann schlich sich leise Melodie und Text des Tagungstitels, des Agitpropsongs „Sag mir, wo du stehst!“ in die Ohren der Teilnehmenden. Und schon 9:28 saßen alle auf ihren Stühlen. Prof. Andreas Lindner begann mit der Bemerkung, ihm sei gerade ein wohliger Schauer über den Rücken gelaufen und er sei froh, dass es vorbei ist: vorbei die Zeit der Bekenntnisansprüche zum SED-Staat.

Doch wie agierten die Kirchen in der DDR? Und wie war das christliche Alltagsleben im „realen Sozialismus“ gewesen? Vor allem Lehrerinnen und Lehrer sowie Studierende waren am 21. November ins Augustinerkloster Erfurt gekommen, um in Vorträgen und Workshops etwas darüber zu erfahren.

Drei Vorträge am Vormittag führten ein. Prof. Maser betonte die Rolle von Persönlichkeiten und kontrastierte den „Kirchenhasser“ Walter Ulbricht mit Erich Honecker. Letzterer habe, gerade im Lutherjubiläum 1983, die Nähe der evangelischen Kirche geradezu gesucht. Ein „besonderer Witz der Geschichte“ sei es schließlich gewesen, dass er und seine – ideologisch schärfere – Frau Margot am 30. Januar 1990 Asyl nur noch in einem Pfarrhaus bekommen hätten.

Weniger auf Personen, denn auf die Veränderung sozialer Strukturen, hob Prof. Martin Onnasch ab: Schwächung der Volkskirche durch schwindende soziale Verankerung, Vordringen der Staatsideologie durch Druck auf die Eltern und Zurücknahme des kirchlichen Anspruchs gegenüber dem Staat wurden von Onnasch stärker prozesshaft geschildert.

Prof. Seiler beschrieb schließlich die Position der katholischen Kirche im Wesentlichen mit „politischer Abstinenz“: einer Haltung, die im Nachhinein kritisch gesehen wird. Zudem plädierte er für Sorgfalt bei der Verwendung von Begriffen in Historiographie und Geschichtspolitik. Was sei etwa mit dem Wort „Unrechtsstaat“ gemeint? Oder was bedeute der Begriff „Widerstand“ in der DDR, wenn kein Umsturz geplant worden ist? Auch auf die Begrifflichkeiten und Metaphern in Standortbestimmungen katholischen Lebens in der DDR selbst sei zu achten, wenn etwa von einer „Gärtnerei im Norden“, vom „fremden Haus“ oder von „Daniel in der Löwengrube“ die Rede gewesen sei.

Sein Plädoyer für eine stärkere Erforschung christlichen Lebens in der DDR fand in den Workshops am Nachmittag Widerhall. Seiler sagte u.a., Widerstand und Opposition seien in die mentale Disposition der Gläubigen verlagert worden. Dieser Gesichtspunkt ließ sich auf Workshop-Themen wie die „Offene Arbeit der Kirchen in der DDR“, die „Friedensdekade“ oder die „Friedensgebete und Demonstrationen 1989 in Leipzig“ beziehen.

Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich stellte in seinem Workshop „Pazifisten in Uniform“ die Bausoldaten in der DDR vor. Er berichtete aus seinem Alltag als Bausoldat im Chemiedreieck 1988/89. Vor allem sein zeitgenössischer Briefwechsel mit einem Klassenkameraden führte vor Augen, wie die Angst vor dem Staat damals Stück für Stück schwand, wenngleich die Herrschenden in dieser Situation gegen widerständiges Verhalten punktuell besonders rabiat vorgingen.