Evangelische Akademie Thüringen

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Tu Deinen Mund auf! – Film-Tipp

Zeilen aus einem Brief, verfasst von Sebastian Kranich einen Tag nach dem 09.10.1989 in Leipzig. Foto: © Sebastian Kranich/EAT
Zeilen aus einem Brief, verfasst von Sebastian Kranich einen Tag nach dem 09.10.1989 in Leipzig. Foto: © Sebastian Kranich/EAT

Eine junge Frau redet sich in Rage. Sie spricht über die Umweltkatastrophe in Bitterfeld und den Tod ihres jüngeren Bruders, der an Pseudokrupp gelitten hatte. Ort der Rede ist eine Kirche, Rahmen ist ein Gebet. Ein Pfarrer steht auf und beendet es mit einer Schlussbitte. Danach macht er klar: So geht das nicht. Man könne nicht einfach politische Reden halten und mit einem Amen beenden. Der Gruppe, zu der die junge Frau gehört, soll die Verantwortung für die Gebete entzogen werden.

Was in „Die unendliche Leichtigkeit der Revolution“ filmisch gezeigt wird, hat einen historischen Kern: Es ist der Streit zwischen Gruppenmitgliedern und Verantwortlichen in der Kirche um die Friedensgebete in der Nikolaikirche, etliche Monate vor dem Herbst 1989.

„Tu Deinen Mund auf für die Stummen“, so heißt es im Mai-Monatsspruch. Die junge Frau im Film tut genau das. Sie redet für den, der nicht mehr reden kann, für ihren toten Bruder. Und sie zieht ihre Mutter, eine SED-Genossin, Stück für Stück auf ihre Seite. Als die Tochter im Januar 1989 im Stasi-Knast in der Runden Ecke sitzt, traut sie sich zeitgleich zu einer der ersten Demonstrationen auf dem Leipziger Marktplatz.

Warum aber die Intervention der kirchlich Verantwortlichen? Sorge um den religiösen Charakter einer Veranstaltung? Angst vor Kontrollverlust? Druck vom Staat? Das sicher auch. Aber es war noch etwas anderes, was ältere Verantwortliche die jungen Leute von Anfang 20 damals bremsen ließ. Sie selbst, die Älteren, verstanden sich als Mund der Stummen. Sie selbst wollten für jene eintreten, gegenüber dem Staat, stellvertretend. Nur wollten die jungen Leute damals endlich selber reden, agieren, handeln. Und das war seinerzeit – auch auf Seiten der Kirchen – für viele schwer begreiflich. Zu tief saßen patriarchale Muster und der Respekt vor der Macht. Die Emanzipation von der Elterngeneration und der SED-Diktatur leisteten vor allem junge Leute, die weniger Angst hatten als andere.

Als am 9. Oktober 1989 dann 70.000 Menschen in Leipzig über den Ring liefen, war der Machtverlust der SED offensichtlich. Diese Szene muss der Film „Die unendliche Leichtigkeit der Revolution“ nicht mehr zeigen.

Bis zum 28. Juli 2021 ist er in der Mediathek zu sehen: „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“