Evangelische Akademie Thüringen

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Und was ist mit den Vätern? - Literarischer Salon zu Jessamine Chans "Institut für gute Mutter"

Die Buchhandlung Contineo dient schon seit 2019 als Veranstaltungsort für den Literarischen Salon. Foto: (c) Kummer/EAT
Die Buchhandlung Contineo dient schon seit 2019 als Veranstaltungsort für den Literarischen Salon. Foto: (c) Kummer/EAT

In Jessamine Chans dystopischem Roman „Institut für gute Mütter“ wird den Frauen, die nach Meinung der Kinderschutzbehörde in Sachen Aufsichts- und Erziehungspflicht nachhilfebedürftig sind, viel abverlangt. Anhand von Roboterkindern sollen sie in einer geschlossenen Anstalt, fern von ihren leiblichen Kindern, lernen „gute Mütter“ zu sein.

Aber was ist das überhaupt, eine „gute Mutter“? Dass Erziehungsnormen immer auch abhängig sind von den jeweils herrschenden Ideologien, darin waren sich die elf Teilnehmenden des Literarischen Salons am Montag, den 26.2. in der Buchhandlung Contineo in Erfurt recht einig. So wurde zum Beispiel aus einem Ratgeber für Frauen von 1934 zitiert, der nicht nur für Mütter in der Zeit des Nationalsozialismus prägend war, sondern sich noch bis weit in die Sechziger Jahre in den häuslichen Bücherschränken befand und befolgt wurde. Heute gelten die brachialen Methoden als grobe Vernachlässigung.

Inwieweit der Staat in die Erziehungsbelange der Eltern eingreifen oder gar Kinder aus dem elterlichen Haushalt entfernen darf, ist in unserem Grundgesetz geregelt. Doch wann das Wohl eines Kindes gefährdet ist, muss kleinteilig von Fall zu Fall entschieden werden. In Chans Roman ließ die erschöpfte Mutter ihr Kleinkind für einige Zeit allein zu Hause, um einen Kaffee und etwas aus dem Büro zu holen. Die Nachbarn alarmierten aufgrund des anhaltenden Schreiens die Behörde und die Protagonistin sieht ihr Kind für lange Zeit nicht wieder. Sie muss sich über ein Jahr einem harten – und unmenschlichen – Training unterziehen und verliert zunehmend die Bindung zu ihrer Tochter.

Weit hergeholt meinen die einen, gar nicht so unwahrscheinlich sagen die anderen: „In der DDR wurden Kinder von Personen, die Fluchtversuche gewagt hatten, auch ins Heim gesteckt und die Eltern sahen ihr Kind nie wieder.“ Manchmal sei es aber auch gut, dass der Staat eingreife und ohnehin sei es für Kinder, die zu Hause Gewalt erfahren, schwierig genug sich Gehör zu verschaffen.

Auch über Patchwork-Familien und Co-Parenting wurde gesprochen. Denn neben dem klassischen Mutter/Vater/Kind-Modell existieren inzwischen viele weitere Modelle, die mehr und mehr Anerkennung in der Gesellschaft finden. „Was ist überhaupt mit den Vätern in dem Roman?“, fragen die Teilnehmenden sich untereinander. Die scheinen andere Bedingungen und wesentlich mildere korrigierende Maßnahmen zu erhalten – von ihnen wird nicht erwartet, dass sie perfekte Elternteile sind.

Am Ende bleibt die Frage, warum sich Dystopien um so viel ausführlicher denken und erzählen lassen als Utopien. Warum fällt es uns so leicht, extrem schlechte Erziehungsbedingungen weiterzuspinnen, und so schwer, Idealzustände zu konkreten und detaillierten Geschichten zu formen? Vielleicht liegt dies auch daran, dass wir klarer vor Augen haben, was wir nicht wollen, der Weg zu einer positiven Formulierung von Werten und die dazugehörigen Handlungsanweisungen für Erziehungsberechtigte aber viel Arbeit ist – sowohl individuelle als auch gesellschaftliche.
Gespräche wie beim Literarischen Salon steuern einen Teil dazu bei, sich über die eigenen Erfahrungen und Wünsche klar zu werden und mit anderen darüber in Austausch zu kommen.