Evangelische Akademie Thüringen

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Unerhört? – Zugehört!

Unter der Losung "Was für ein Vertrauen" fand der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag 2019 vom 19. - 23. Juni in Dortmund statt. Foto: © Stephan Schütze
Unter der Losung "Was für ein Vertrauen" fand der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag 2019 vom 19. - 23. Juni in Dortmund statt. Foto: © Stephan Schütze

Annika Schreiter berichtet vom Kirchentag:

„Was haben Sie im Gepäck? Mit welchem Thema sind Sie heute hergekommen, bei dem Sie sich unerhört fühlen?“, frage ich in die Runde. Gut 150 Menschen schauen – zum Teil noch etwas skeptisch – aus dem Publikum im Reinoldinum in Dortmund zurück. „Schreiben Sie ihr Thema auf, kommen Sie nach vorne und stellen Sie es vor. Wenn sich genügend Leute finden, bekommen Sie einen Raum und genügend Zeit, es zu besprechen“, erklärt mein Kollege Jan Witza vom Evangelischen Landesjugendpfarramt in Sachsen.

Es ist ein Experiment, das der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) gemeinsam mit der Diakonie Deutschland am vergangenen Donnerstag wagte. Denn diese Veranstaltung, die am Donnerstagnachmittag während des 37. Kirchentags im Rahmen der Hauptpodien angeboten wurde, war gar kein Podium, sondern ließ das Publikum die Themen bestimmen. „Das soll doch noch gesagt werden dürfen“ lautete der Titel. Gemeinsam mit der Kampagne „Unerhört!“ der Diakonie, mit Jan Witza und mir entwickelte das Kirchentagspräsidium dieses offene Format, in dem das Publikum die Themen setzt und erst einmal jede Meinung und jedes Thema zugelassen wird, solange das Gespräch fair bleibt. Das Format ist auch eine Reaktion auf den Beschluss, den der DEKT im Hinblick auf Politikerinnen und Politiker der AfD traf. Dieser Beschluss enthält neben dem Ausschluss von AfD-Funktionären von Podien die Einladung zum Dialog auf dem Kirchentag an alle – gleich welcher Partei sie angehören.

22 Menschen trauen sich bei der Veranstaltung und schlagen Themen vor zu Klima, Migration, Abtreibung, Ressourcenverteilung in der Medizin, Reden mit der AfD und der Rolle der Medien in der „Flüchtlingskrise“ 2015. 22 Themen, aber nur 9 Räume – das Zusammenfassen, Schieben, Mehrheitenbilden kostet Zeit und Geduld. Aber am Ende stehen neun unterschiedlich große Gruppen und wir diskutieren zwei Stunden lang intensiv, kontrovers, aber fair.

Ich moderiere die größte Gruppe von gut 30 Personen. Es geht um den Ausschluss der AfD und die Grenzen von Diskursen. Nach zwei Stunden Gespräch gibt es kein Ergebnis, aber doch so etwas wie einen komplexen Konsens: Es gibt die Institution Kirchentag, die im Umgang mit der Partei AfD einen Beschluss gefasst hat, den manche gut und andere falsch finden. Und es gibt die Ebene der persönlichen Begegnung mit Menschen. „Mit Menschen reden ist wichtig! Auch wenn mir ihre Meinung nicht gefällt“, fasst es der Abiturient am Ende zusammen, der das Thema eingebracht hat. Ein guter Schlusssatz – auch für das gesamte Experiment!