Evangelische Akademie Thüringen

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Zum Tod von Dr. Jutta Kranich-Rittweger (1961-2023)

Jutta Kranich-Rittweger. Foto: (c) Zubarik/EAT
Jutta Kranich-Rittweger. Foto: (c) Zubarik/EAT

Am 12. November 2023 ist die Theologin, Psychologin und Autorin Jutta Kranich-Rittweger verstorben. Geboren am 14. August 1961 in Schleiz, wuchs sie im ostthüringischen Schöndorf, in Weida und in Schleiz auf. Wegen ihrer Herkunft aus einem evangelischen Pfarrhaus wurde ihr das Abitur verwehrt. So erlernte sie zunächst den Beruf des Apothekenfacharbeiters. Nach Bestehen einer Sonderreifeprüfung 1981 nahm sie das Studium der Evangelischen Theologie in Jena auf. Hier beteiligte sie sich erstmals an oppositionellen Aktionen und Demonstrationen.

An der Theologischen Fakultät der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg setzte K-R. ihr Studium fort. Nach dessen Abschluss 1987 hatte sie eine Assistentur am dortigen Institut für Konfessionskunde der Orthodoxen Kirchen inne. Sie gründete im privaten Raum einen Literaturkreis sowie einen Geschichtskreis, die von der Staatssicherheit überwacht wurden. Ab 1989 war K-R. neben ihrer Assistentur Vikarin an der Marktkirche Halle. Hier, im städtischen Zentrum der Friedlichen Revolution, engagierte sie sich im Tag- und Nachteinsatz.

Im Umbruch von Gesellschaft und Kirche entfaltete sie anschließend eine blühende Arbeit mit Jugendlichen und wehrte sich gegen die bloße Übernahme des westdeutschen Kirchenmodells auf den Osten. 1990 sprach sie sich gegen die Einführung des staatlichen Kirchensteuereinzugs aus, da dieser nicht zur vorfindlichen Minderheitensituation passe. 1991 wurde sie ordiniert. 1993 erklärte sie gegenüber dem Amtsgericht formal ihren Kirchenaustritt und überwies stattdessen ein Zehntel ihres Einkommens an ihre Kirchgemeinde, was zu heftigen Diskussionen in der provinzsächsischen Landeskirche und der EKD führte.

In diesem Kontext schrieb sie unter der Überschrift „Christsein ist meine existentielle Mitteilung“ in einem Typoskript: „Wir haben im Umgang miteinander die Worte verloren und lassen dafür die Gesetze sprechen. Wir gehen den Weg des geringsten Widerstandes, der Anpassung. Wir wissen immer schon, was realistisch ist und daß diese Welt und Kirche sich eigentlich nicht ändern darf, aber das, was heute Realität genannt wird, werden wir uns keine 40 Jahre mehr leisten können.“ Doch die von ihr und anderen vorgeschlagenen Alternativen zum Einzugssystem bekamen keine Chance. Um ihren Beruf weiter ausüben zu können, trat K-R. ihrer Kirche formell wieder bei.

Beruflich rehabilitiert (Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet) studierte sie ab 1995 Medizin bis zum Physikum und Psychologie. Parallel dazu arbeitete sie als Seelsorgerin und nach ihrem Abschluss im Jahr 2000 als Psychologin und Psychotherapeutin in der Klinik für Strahlentherapie der Medizinischen Fakultät der Universitätskliniken Halle. Die Arbeit dieser Jahre fand ihren wissenschaftlichen Niederschlag in der interdisziplinären Promotion zum Dr. theol. „Hoffnung als existentielle Erfahrung am Beispiel onkologischer Patienten in der Strahlentherapie“ (gedruckt 2007).

2007 ließ sich K-R. in Halle in eigener Praxis als Psychotherapeutin nieder mit den Schwerpunkten: Verhaltenstherapie, Psychoonkologie, Psychodiabetologie, klinische Hypnose, Supervision und Paartherapie. Als ordinierte Pfarrerin hielt sie weiterhin Gottesdienste und Kasualien und gehörte zum Kreis der Engagierten der Friedensgebete an der Marktkirche. Die Berufsarbeit jener Zeit erbrachte als wissenschaftlichen Ertrag das Buch „Vom Umgang mit der Todesangst. Empirische Untersuchungen und ihre praktische Relevanz“ (2020).

2018 zog sie mit ihrem Ehemann, dem Theologen Dr. Sebastian Kranich – im Zuge von dessen Berufung als Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen – nach Weimar, wo sie in einer onkologischen Gemeinschaftspraxis weiterhin schwerpunktmäßig mit Krebspatienten arbeitete.

Als Schriftstellerin debütierte K-R. spät. Im Mitteldeutschen Verlag Halle veröffentlichte sie einen Erzähl- und einen Gedichtband: „Die Einsamkeit des Kindes“ (2019) und „Haufenwerfer“ (2021). Ein dritter Band mit Prosa und Lyrik soll posthum erscheinen.

In die Arbeit der Evangelischen Akademie brachte sie sich vor allem mit Veranstaltungen zu Sterben, Tod und dem Danach ein. Die Akademie-Online-Buchvorstellung „Vom Umgang mit der Todesangst“ ist auf unserem YouTube-Kanal abrufbar. Überdies las sie bei Tagungen aus ihrem Band „Die Einsamkeit des Kindes“. Ein Podcast von Valentine Weigel mit ihr über „Einsamkeit und Hoffnung“ vermittelt einen Eindruck von ihrem Denken. Zudem ist gerade ein biobibliografischer Artikel über sie im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon erschienen.

Von sich selbst sagte K-R.: „Ich bin ein spiritueller und politischer Mensch“. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof in Schöndorf bei Schleiz. Als Grabstein-Inschrift bestimmte sie: „Dr. Jutta Kranich, geb. Herden“ sowie in Anlehnung an Joh 6,68: „Wohin soll ich gehen? Du hast Worte ewigen Lebens.“