Auf der Frühjahrssitzung des KDA-Bundesausschusses „Erwerbslosigkeit, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik“ ging es um nicht weniger als die Zukunft des Sozialstaats. Nachdem die Arbeit zur „Soloselbständigkeit“ beendet ist, haben sich die zwölf Ausschussmitglieder aus den verschiedenen Landeskirchen diesem Thema zugewandt. In Zeiten gesunkener Arbeitslosigkeit und zunehmendem Fachkräftemangels stellt sich die Frage, wie die Unterstützung des Sozialstaats für Arbeitslose heute aussehen muss: Ist vielleicht der Fokus stärker auf das Fördern als das Fordern zu setzen? Sind Sanktionen zielführend? Welche Qualifizierungen sind heute gefragt? Und sollten die Strukturen der Job-Center verändert werden, um Arbeitslosen individueller helfen zu können?
Der Bundesausschuss diskutierte dazu mit Arbeitsmarkt-Expertinnen und -Experten in Nürnberg, wo die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit liegen. Innerhalb der nächsten Monate soll ein Thesenpapier erarbeitet werden, das konkrete Schritte für eine gezieltere und effektivere Sozialpolitik beschreibt. Dabei wollen die Ausschussmitglieder auf den Erfahrungen von Beratungsstellen, Arbeitsloseninitiativen und Jobcentern in ihren Landeskirchen aufbauen: Gespräche mit Erwerbslosen und Jobcentermitarbeitenden, mit Beschäftigungsinitiativen und potenziellen Arbeitgeberinnen, etwa im Handwerk, sind geplant. Am Ende eines solchen kleinen bundesweiten „Jobcenter-Reports“ sollen weiterführende Thesen im Lichte evangelischer Sozialethik formuliert und mit politisch Verantwortlichen diskutiert werden. Bleiben Sie gespannt!
Die „Fridays for Future“-Demonstrationen zeigen: Unsere Gesellschaft ist vom Kurs abgekommen. Weil der Politikbetrieb („die Profis“) sich nicht auf Maßnahmen zum Klimaschutz einigen kann, gehen Schülerinnen und Schüler auf die Straße – mit vollstem Recht. Es sind deutlich größere Anstrengungen vonnöten. Und Klimaschutz ist nur ein Baustein für eine zukünftig noch lebenswerte Welt. Die UN-Nachhaltigkeitsziele für 2030 liegen als Karte und Kompass bereit. Was hindert uns, die als richtig erkannten Ziele zu verfolgen?
Beim Augustinerdiskurs „Global denken. Lokal handeln“ zeigte Dr. Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, dass nicht allein die Konsumentscheidungen Einzelner ausreichen, sondern dass gesellschaftliche Rahmen (wie Standards oder Gesetze) verändert werden müssen. Dann würde nachhaltiges Verhalten für alle zur Routine werden. Vertreterinnen und Vertreter Erfurter Initiativen stellten auf dem Podium ihre Ansätze für mehr Nachhaltigkeit vor. Anett Kulka-Panek vom LandMarkt Erfurt wies darauf hin, dass regional erzeugte Bio-Lebensmittel zunehmend stärker nachgefragt werden. Wohnfläche und Infrastruktur könnten geteilt werden, wenn dies bei Errichtung oder Sanierung von Häusern von vornherein geplant wird. Damit ließe sich der Ressourcenverbrauch verringern, sagte Uwe Flurschütz von Wohnopia e.V. Und Heiko Rittweger beschrieb, dass die nachhaltige Ausrichtung von Unternehmen möglich ist, aber Zeit braucht. Seine Agentur Rittweger + Team berät Unternehmen schon seit Jahren dabei und geht mit gutem Beispiel voran.
Alle können etwas tun. Und es gibt keinen Grund zu zögern, sich für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen: Regionale, ökologische erzeugte Lebensmittel sind verfügbar, Verpackungen lassen sich vermeiden und durch bewussteres Einkaufen landen weniger Lebensmittel auf dem Müll. Ideen für ressourcensparendes Arbeiten und Wohnen werden schon umgesetzt. Carsharing, öffentlicher Verkehr und freiwilliges Tempolimit, Ökostrom, Genügsamkeit und politisches Engagement für eine bessere Welt: Um die Wende hin zu einer nachhaltigen Zukunft zu schaffen, sind alle gefragt. Jetzt. Jede und jeder an ihrem Platz. Täglich for Future.
Wie sieht die Zukunft der politischen Bildung aus? Wie kann sie an Schulen und außerschulisch gelingen? Welche Methoden, Konzepte und Formate braucht es dazu? Um Fragen wie diese drehten sich die Sessions des Barcamps „Nichts bleibt, wie es war? Zukunft der politischen Bildung“, das am 28. und 29.03.2019 stattfand. Auch am zweiten Tag brachten die Teilnehmenden, die gleichsam Leiterinnen und Leiter der Sessions waren, eine Vielzahl an Themen zur Diskussion: Edutainment als Antriebsfeder von politischer Bildung, Möglichkeiten und Potentiale von spielbasiertem Lernen, z.B. in Escape Games und beim Liverollenspiel, Hatespeech im Netz und Argumentationsmöglichkeiten gegen Rechts, Gestaltung von Demokratie an Schulen und die Dilemmadiskussion als methodischer Ansatz zur Förderung moralisch-ethischer Kompetenzen.
Während der Sessions und dazwischen bestand reichlich Gelegenheit, um miteinander in Austausch zu kommen, einander Impulse zu geben und miteinander Ideen zu spinnen, wie mit Chancen und Herausforderungen der politischen Jugendbildung künftig umgegangen werden kann. So war das Barcamp „ein wunderschöner, bunter, fachlich anregender und lustiger Spielplatz“, wie ein Teilnehmer seine Erfahrungen zum Abschied zusammenfasst. Eine gute Mischung, die Lust auf Wiederholung macht.
„Hallo ich heiße … und meine Hashtags sind …“ Ein Barcamp beginnt traditionell mit einer Vorstellungsrunde, in der gleich drei Besonderheiten dieses Formats deutlich werden: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stehen im Mittelpunkt und bringen ihr Wissen und ihre Erfahrung ein, die durch die genannten Hashtags angedeutet werden. Alle stellen sich mit Vornamen vor, denn während des Barcamps gilt das Du. Drittens verweist die Verwendung von Hashtags, um sich vorzustellen, auf die enge Verzahnung von Online und Offline. Beim Barcamp haben alle ständig Laptop oder Smartphone in der Hand, veröffentlichen Erkenntnisse oder wichtige Fragen per Twitter oder Instagram unter dem Veranstaltungs-Hashtag (#bcZpB) oder protokollieren die einzelnen inhaltlichen Blöcke, genannt Sessions, in interaktiven Etherpads.
Das Barcamp „Nichts bleibt, wie es war? Zukunft der politischen Bildung“ wird organisiert vom Regionalteam Ost der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung. Dementsprechend drehte sich der erste Tag gestern, 28.03.2019, um Themen wie Jugendbeteiligung, neue Tools wie VR-Brillen oder die Erstwählerkampagne der Landeszentrale für politische Bildung. Kontakte knüpfen, kollegialem Austausch Raum geben, sich fachliches Feedback für eigene Ideen oder Projekte holen oder mit Kolleginnen und Kollegen über derzeitige große und kleine Herausforderungen der politischen Jugendbildung philosophieren – all das ermöglicht das Barcamp. Es läuft noch bis Freitagnachmittag – auf der Social Media-Wall lässt es sich digital verfolgen.
Wir arbeiten, um zu leben. Und leben, um zu arbeiten. Zumindest bis zum Ruhestand. Historisch gesehen war der Ruhestand meist recht kurz. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich im Sozialstaat das „dritte Lebensalter“ herausgebildet. Daher können wir heute davon ausgehen, nach dem Renteneintritt zwanzig oder mehr gesunde Jahre im Ruhestand zu verbringen. Aber womit füllen wir sie? Folgt nach dem Beruf die Berufung?
Während einer Kooperationstagung der Evangelischen Akademien Sachsen-Anhalt und Thüringen in Wittenberg wurden die Chancen ausgelotet, die das dritte Lebensalter für Kirche und Gesellschaft bietet (Bericht der Mitteldeutschen Zeitung. Harald Künemund (Universität Vechta) und Claudia Vogel (Deutsches Zentrum für Altersfragen) beschrieben, dass viele Menschen im Ruhestand auf Bewährtes setzten: Ehrenämter, familiäre Aufgaben und informelle Gruppen werden fortgeführt. Allerdings nehme auch Erwerbsarbeit von niedrigem Niveau zu: Während die einen weiter arbeiten wollten, seien andere aufgrund von niedriger Rente dazu gezwungen. Dennoch gelinge die Kompensation von Altersarmut durch fortgeführtes Arbeiten nur selten.
Wenn sich Ruheständler in Kirche und Gesellschaft ehrenamtlich engagieren, brauchen sie Ermutigung und Unterstützung. Keineswegs sollten im Ehrenamt Kriterien wie Leistungsfähigkeit oder Effizienz dominieren, da so soziale Ungleichheit weiter verstärkt würde. Der soziale Austausch sollte im Vordergrund stehen. Denn im Kern ist jede Betätigung im Ruhestand freiwillig, eine Pflicht zum Engagement daher Unsinn. Der Weg zur Lebenszufriedenheit führe, gute Gesundheit und funktionierende Infrastruktur vorausgesetzt, über Selbstbestimmung, soziale Beziehungen und ein positives Altersbild. Um dieses zu beschreiben, können sowohl das Engagement in der Gesellschaft (Aktivierung) und der Rückzug ins Private dienlich sein.
Nur eine Verpflichtung haben die Senioren nicht: den Jüngeren nicht zur Last zu werden. Schließlich haben sie ihr Lebenswerk vollbracht und verdienen die Unterstützung ihrer Kinder. So wie es das vierte Gebot besagt.
„Wäre die Demokratie ein Tier, man müsste sie unter Artenschutz stellen“ (Handelsblatt). Dieser Eindruck drängt sich beim Blick in einer Menge neuer Publikationen und beim Hören etlicher Äußerungen aus der Politik auf. Um diesem Eindruck nachzugehen lud die Evangelische Akademie Thüringen vom 15. bis 17. März zur Tagung „Demokratie fragil“ nach Neudietendorf.
Eine krisenhafte Situation der repräsentativen Demokratie machte einleitend der Politikwissenschaftler Maik Herold (TU Dresden) aus. Gruppen von Bürgern, insbesondere des traditionellen Mittelstandes, fühlten sich nicht mehr ernstgenommen und angemessen repräsentiert, so dass sie sich gegen das Establishment wendeten. Bewegungen wie Pegida seien nicht per se undemokratisch. Vielmehr träten sie für eine stärkere Volksbeteiligung ein – ohne freilich für „das“ Volk sprechen zu können.
Anschließend erläuterte Prof. Dr. Thorsten Moos (Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel) die Entscheidung des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Vertreter der AFD nicht zur Mitwirkung auf Podien in Dortmund einzuladen. Er beschrieb das Dilemma zwischen Grundsätzen des Kirchentages und seinem Charakter als Gesprächsforum. Dabei wurde deutlich, dass der Kirchentag hier an einem Problem teilhat, das auch anderswo beim Umgang mit der AFD auftritt. Dennoch wurde in der Diskussion wiederholt angefragt, ob die Entscheidung zur Nichteinladung nicht zu mutlos sei und aus einer kirchlichen Milieuverengung und theologischen Übermoralisierung herrühre.
Am Abend des ersten Veranstaltungstages diskutierten dann die Thüringer Pfarrer Dr. Frank Hiddemann (Gera) und Lothar König (Jena) über ihren Umgang mit „Rechts“. Frank Hiddemann hatte 2018 eine öffentliche Gesprächsreihe zu Themen der AFD organisiert und dazu auch Vertreter der Partei eingeladen. Lothar König hingegen ist als Jugendpfarrer bekannt durch seinen Kampf gegen den rechten Rand auch auf der Straße. Wider Erwarten waren sich beide in ihren Zielen rasch einig. Ihre Differenz lässt sich am ehesten so beschreiben: Hiddemann möchte die AFD inhaltlich-argumentativ widerlegen und ihre Vertreter im „Streitgespräch“ bezwingen. König setzt dagegen primär auf deren Zurückdrängung im öffentlichen Raum. Demonstrationen und Streitgespräche seien zwei Seiten einer Medaille: So lautete die Abschlussformel.
Am zweiten Tag standen nach der Morgenandacht (im Anhang zum Download) zunächst zwei Vorträge auf dem Programm. Prof. Dr. Klaus Tanner (Uni Heidelberg) lenkte den Fokus zurück in die Geschichte. Er gab Einblicke in die protestantische Demokratiekritik in der Weimarer Republik und benannte wichtige Punkte der EKD-Demokratiedenkschrift von 1985. Vor allem aber wandte er sich Grundsatzfragen zu. Nur einige seiner Statements seien herausgegriffen: Maik Herold aufnehmend sprach auch Klaus Tanner von einem aktuellen Repräsentationsdefizit und betonte: Ausgrenzungsstrategien wirkten immer nur kurzfristig und ‚populistische‚ Impulse könnten die Demokratie fördern. Was die Krisenwahrnehmung angeht, meinte er: repräsentative Demokratie sei per se auf Dauer gestellte Krise. Ohne Illusionen müsse man zudem anerkennen: Im demokratischen Prozess käme am Ende immer etwas heraus, was keiner gewollt habe. Schließlich hielt er fest: Christlicher Glaube markiere immer auch eine Differenz zu jeglicher Staatsform; er nannte die neue Symbiose mit der Demokratie auch eine Gefahr. Die Kirchen warnte er zudem vor moralischer Überhöhung zur Stigmatisierung anderer Positionen.
Unter der Überschrift „Glaubenssache Demokratie!?“ führte Dr. Stefanie Hammer (Erfurt) im Anschluss in das Phänomen der Zivilreligion ein. Anhand der Gedenkfeier für die Opfer des Amoklaufs am Gutenberggymnasium 2002 auf dem Domplatz in Erfurt erläuterte sie deren Elemente und Inszenierungsformen. Im Anschluss wurde darüber diskutiert, inwiefern und in welcher Form es Zivilreligion in Deutschland gäbe. Als Ergebnis kann festgehalten werden: Ja, es gibt sie. Auch wenn ihre Inszenierungsformen in Deutschland sich von denen in Frankreich oder den USA unterscheiden.
Nach dieser wissenschaftlichen Befassung kamen am Nachmittag zwei Politiker zu Wort – und mehr, als es bei Vorträgen mit Rückfragen sein kann – auch die Teilnehmenden. Sebastian Striegel (GRÜNE, MdL Sachsen-Anhalt) und Dr. Karamba Diaby (SPD, MdB) schilderten in einem Podiumsgespräch ihre Erfahrungen mit der Demokratie im Parlament, auf der Straße, im Internet und bis ins Persönliche hinein. Dabei wurde deutlich, in welchem Maße Politiker und Politikerinnen heute bisweilen angefeindet und bedroht werden. Sei es wegen ihrer politischen Positionen, sei es wegen ihrer Hautfarbe. Danach wurde noch konkreter gesprochen: Bürger fragen Politiker – Politiker fragen Bürger, so hieß das Format. Nun ging es auch um Sachfragen auf einzelnen Politikfeldern. Am Ende appellierten die beiden Politiker an die Tagungsteilnehmer: „Engagieren sie sich. Und melden sie sich zu Wort, wenn Grenzen der Achtung und des Anstandes überschritten werden.“
Am Abend des zweiten Tages spielte der Liedermacher Stephan Krawczyk ein Konzert im Chorsaal des Zinzendorfhauses, das man erlebt haben muss.
Der Sonntag war schließlich dem Austausch der Tagungsgäste untereinander gewidmet. Nach der Morgenandacht kamen bei Dialog-Spaziergängen im Freien sowie in kleinen Gesprächsrunden nun wirklich alle zu Wort. Jetzt hätte man so richtig weitermachen können. Aber am Sonntagmittag galt es Abschied zu nehmen. Mit dem Gesang von „Verleih uns Frieden gnädiglich“ und dem Reisesegen endeten drei inhaltsreiche Tage.