Seit vielen Jahren bietet das Frühlings-Barcamp Kirche Online, das durch die östlichen Landeskirchen wandert, eine Plattform für all jene, die sich mit digitalen Medien, Glauben und Kirche auseinandersetzen möchten. Das Besondere am Barcamp-Format ist, dass die Veranstalter:innen nur den Rahmen setzen. Die Inhalte kommen von den Teilnehmenden, die daher auch Teilgebende genannt werden. Im vergangenen Jahr lag die Organisation bei der Ev. Akademie in Neudietendorf. In diesem Jahr hatten die Kollegen des Amts für kirchliche Dienste der EKBOden Hut auf und das Barcamp fand in Berlin bzw. digital statt.
Für eine hybride Umsetzung ist ein enormer technischer wie konzeptioneller Aufwand erforderlich. Damit Teilnehmende im digitalen Raum nicht nur Zuschauende sind, sondern wirklich teilhaben – und wie beim Barcamp üblich – teilgeben können, braucht es viele Kameras, guten Ton und eine Moderation, die alles gleichzeitig im Blick behält.
In Berlin gelang dieses Kunststück erneut. Die Ev. Akademie Thüringen unterstützte durch Moderation im digitalen Raum. Und so tauschten sich Haupt- und Ehrenamtliche aus über die Möglichkeiten kirchlichen Intranets, über den Umgang mit Hatespeech von persönlich Betroffenen, über die Chancen von KI in der Gemeindearbeit oder über elektronisch erzeugte Kirchenlieder. Das Programm und alle kollaborativ erzeugten Protokolle sind übrigens noch über die Barcamp-Seite einsehbar.
Fortsetzung folgt. Dann vermutlich unter Federführung der Sächsischen Landeskirche.
Mit „Der ‚Eisenacher Weg‚ – Kirche, Staat und Stadt“ war das erste Panel zum „Forum zu Zeitgeschichte und Zukunftsperspektiven – Industrie. Geschichte. Engagement.“ am 25. März überschrieben. Moderiert von Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich diskutierten im Museum Automobile Welt Eisenach der Historiker Michael Weise (Lutherhaus Eisenach), die Schriftstellerin und Zeitzeugin Margot Friedrich (Erfurt) sowie der Theologe und ehemalige Eisenacher Kreis– und Landesjugendpfarrer Christhard Wagner (Erfurt) über den Weg der Ev.-Luth. Landeskirche Thüringen in der DDR.
Michael Weise spannte in seinem Impulsvortrag zunächst den Bogen von der „milden Entnazifizierung“ über die Ära Moritz Mitzenheim bis zur Friedlichen Revolution, nicht ohne einen besonderen Akzent auf die Lutherrezeption in der DDR zu setzen. Christhard Wagner und Margot Friedrich, in den 1980er Jahren aktiv bei „Frauen für den Frieden“ und 1989 Mitbegründerin des Demokratischen Aufbruchs, vertieften als Zeitzeugen das Gehörte durch persönliche Erinnerungen sowie teils unterschiedliche Einschätzungen zur Rolle der Kirche in der Friedlichen Revolution.
Sichtbar wurde dabei, was Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ettersberg, eingangs bemerkte: Der Blick auf die Geschichte und die damit verbundene Suche nach Identität darf nicht einseitig werden. Vielmehr müssen dabei unterschiedliche Facetten berücksichtigt werden.
An den drei evangelischen Thüringer Bischöfen wurde das exemplarisch deutlich: Moritz Mitzenheim setzte sich für eine Selbstbehauptung als Volkskirche ein, überließ dem Staat aber das Feld der Politik weithin. Ingo Braecklein war Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, beendete aber den ‚roten‚ Sonderweg der Thüringer Kirche gegenüber dem Staat. Werner Leich hielt Distanz gegenüber dem Staat, war aber auch gegenüber dem Engagement oppositioneller Gruppen skeptisch. Christhard Wagner erinnerte sich: Wenn Leich mit dem „Eigentlichen“ angefangen habe, hätten sie „immer schon die Krätze“ gekriegt. Sprich: Wenn Leich theologisch das kritische politische Engagement herabsetzte.
Der Eisenacher Weg: So hätte auch das ganze Forum überschrieben sein können, bei dem es, wie Prof. Ganzenmüller anfangs sagte, um den „produktiven Umgang mit Hinterlassenschaften der DDR“ gehen sollte. Als solche lässt sich gerade der Automobilbau begreifen, da in Eisenach das bessere DDR-Auto produziert wurde: der Wartburg. Auf dem Panel „Wartburg, Opel, PSA, Stellantis – Transformationen einer Industriestadt“ wurde mithin das hohe Maß an lokaler Identifikation mit dem Autobauen deutlich. In nahezu religiöser Sprache wurde geäußert, es gäbe „etwas Mystisches zwischen den Eisenachern und dem Werk“ und für die Wandlungen des Standorts wurde der Terminus „ewige Transformation“ geprägt.
An jenes Panel schloss sich eines zu „Friedliche Revolution und Zivilgesellschaft: Bürgerengagement in Eisenach“ an, bevor schließlich gefragt wurde: „Zentrum am Rand oder kraftvolle Provinz: Wo liegt Eisenachs Zukunft?“
Eine Szene in einem Frisörsalon: Der kleine Finn soll einen neuen Haarschnitt bekommen, aber nur die Spitzen, damit die Dino-Spangen noch benutzt werden können. Doch die Frisörin schafft Fakten und beginnt mit dem Kurzhaarschnitt, den hier alle kleinen Jungen bekommen. „Finn sieht ja sonst aus wie Fiona!“ Die Mutter steht fassungslos daneben und weiß nicht recht, wie sie reagieren soll. Denn in ihrem Kopf hört sie noch viel mehr Stimmen als die der Frisörin:
„Mädchen haben lange Haare, Jungen kurze. Das war schon immer so.“
„Du kannst dein Kind doch nicht so rumlaufen lassen! Oder willst du, dass es gemobbt wird?“
„Von dir hätte ich nun wirklich nicht erwartet, dass du hier einen Aufstand machst!“
„Der Finn hat es im Kindergarten sowieso nicht leicht und passt sich in der Gruppe schlecht ein.“
…
Diese Szene entstand im Workshop „Der Regenbogen der Wünsche“ mit der Methode „Polizist im Kopf“. Diese gehört zu den introspektiven Techniken des Theaters der Unterdrückten und lässt die Stimmen im Kopf oder die Blockaden, die Handeln in Konfliktsituationen verhindern, auf die Bühne treten. Im Workshop erspielten und diskutierten Bildungspraktiker:innen, wie sich diese Techniken in der politischen Bildung verwenden lassen.
In der Evangelischen Akademie haben die Workshops zum Theater der Unterdrückten und politischer Bildung in Zusammenarbeit mit dem Berliner Theaterpädagogen Till Baumann inzwischen Tradition. In diesem Jahr standen mit dem Methoden-Set des „Regenbogens der Wünsche“ die introspektiven Techniken im Mittelpunkt. Dabei geht darum, verinnerlichte Machtstrukturen und Konflikte sichtbar zu machen. Warum schaffe ich es nicht, öffentlich zu widersprechen, wenn mir Ungerechtigkeit begegnet? Wie komme ich zu einer klaren Haltung, wenn so viele unterschiedliche Zwänge, Werte, Sehnsüchte oder Bedürfnisse an mir zerren? „Wäre es nicht schön, wenn die Stimmen im Kopf mal still sein würden und wir uns einfach um die Sache kümmern könnten?“, bemerkte eine Teilnehmerin. Mit den Theatertechniken des „Regenbogens der Wünsche“ kann man diesem Ziel vielleicht ein bisschen näherkommen.
„Ich hab‚ geträumt, der Krieg ist vorbei“: Diese Liedzeile von Ton Steine Scherben gab dem dritten Online-Studientag der Evangelischen Akademien zur Friedensethik am 20. März die Überschrift. Und tatsächlich waren der Wunsch und die Sehnsucht nach einem Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine groß. Nur: Wie dieser Krieg ein Ende finden kann, darüber gingen die Meinungen teils weit auseinander.
Im Zwiegespräch Theologie interpretierte Prof. Dr. Klara Butting die Geschichte von David und Goliath eingangs überraschend rüstungskritisch, als Ermutigungsgeschichte in völliger Asymmetrie. David besiege den hochgerüsteten Goliath nur mit einer Steinschleuder, so die Leiterin des Zentrums für biblisch-politische Bildung Woltersburger Mühle. Daran zeige sich, dass immer mehr Rüstung und immer mehr Waffen nicht der Weg seien, auch nicht im Ukraine-Krieg. Scharfmacherei führe nur in eine Eskalation, die in einen 3. Weltkrieg münden könnte. Kirche müsste sich für einen anderen Weg, für einen sofortigen Waffenstillstand, für Verhandlungen und ein Ende des Tötens einsetzen. Dagegen erhob sich unter den Teilnehmenden Widerspruch. Der naheliegende war: Auch David kämpfe mit einer Waffe und töte Goliath.
Die polnische Theologin PD Dr. Ursula Pekala betonte dagegen: Es handle sich um einen imperialistischen Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands. Die Ukraine habe daher das Recht zur Selbstverteidigung und ihre militärische Unterstützung sei ethisch legitim. Ein Stopp der Waffenlieferung berge die Gefahr eines verzögerten 3. Weltkriegs, da vorschnelle Konzessionen an Putin diesen ermutigen könnten, seinen imperialistisch-aggressiven Kurs weiter zu verfolgen. Zudem warnte die Professurvertreterin für Kirchen- und Theologiegeschichte am Institut für Katholische Theologie der Universität des Saarlandes davor, die Last der Verantwortung hauptsächlich auf das Opfer, die Ukraine zu verschieben. Aus ihrer Forschung zur Versöhnung wisse sie, dass von den Opfern gern verlangt werde, sie sollten vergeben und sich versöhnen.
Im Zwiegespräch Völkerrecht wurde zunächst die Rolle der UNO thematisiert. Professor Dr. Hans-Joachim Heintze (Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr Universität Bochum) führte aus: Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten werde in der UNO zwar betont, aber durch das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, zu denen die USA, Russland und China gehören, durchbrochen. Russland und China arbeiteten zugleich im Verbund der BRICS-Staaten eng zusammen. So verlagerten sich die Weltgewichte weg von der UNO.
Arie Mora (Anwalt der Nichtregierungsorganisation Ukrainian Legal Advisory Group (ULAG), Ukraine) schilderte, aus Kiew zugeschaltet, anschließend die positiven Reaktionen auf den Haftbefehl gegen Putin durch den Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Dieser sei ein erster Schritt. Weitere Untersuchungen würden zu weiteren Haftbefehlen führen. Auch Hans-Joachim Heintze begrüßte den Haftbefehl gegen Putin. Die Entscheidung dafür sei aber auch deswegen so schnell getroffen worden, weil der IStGH damit einem befürchteten Bedeutungsverlust entgegenwirken wollte. Einig waren sich die beiden Völkerrechtsexperten darin, dass es einen eigenen Strafgerichtshof geben müsse, der sich mit dem Aggressionskrieg Russlands beschäftige. Der IStGH habe dazu nicht die Mittel und Kompetenzen. Einig waren sich beide auch in der Notwendigkeit des Zusammenwirkens von ukrainischer und internationaler Gerichtsbarkeit zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, die in der Form eines Hybrid-Tribunals diskutiert wird.
Eine gewisse Differenz gab es hingegen in der Einschätzung der Auswirkung des Haftbefehls gegen Putin auf mögliche Verhandlungen. Hans-Joachim Heintze meinte, der Haftbefehl erschwere eine Verhandlungslösung. Arie Mora sagte hingegen: Die eigentliche Frage sei, wann Russland gewillt sei in Verhandlungen einzutreten. Wenn es Verhandlungen gäbe, dann sei es egal, welchen Status eine Person habe.
Im Zwiegespräch Politik wiederholte Professor Dr. Johannes Varwick (Institut für Politikwissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) seine bekannten Positionen: Eine weitere Eskalation sei zu vermeiden. Es müsse ein Arrangement geben, mit dem beide Seiten leben könnten. Wir befänden uns in einem Kalten Krieg 2.0, der in der Ukraine heiß sei. Doch sei die Ukraine ein Sonderfall. Dieser Krieg sei daher einzufrieren. Eine Verhandlungslösung sei die einzige Möglichkeit. Dabei müsse ein Teil der russischen Sicherheitsinteressen akzeptiert werden.
Dr. Andrei Lavruhin (Belarusian Institute for Strategic Studies (BISS)), ging auf diese Argumentation kaum ein. Sein Augenmerk war auf etwas anderes gerichtet. Bis Ende des Jahres könne es zwar eine Art von Frieden geben, so der aus Vilnius zugeschaltete Wissenschaftler. Aber dieser Krieg würde wieder und wieder kehren, falls die Militarisierung der russischen Gesellschaft so weiter geht. Die aktive Phase des Kriegs sei zu stoppen. Die latente Phase aber sei das Problem. Nach Putin käme dann ein neuer Putin. Es drohe die Gefahr eines hochmilitarisierten Landes mit Atomwaffen, in dem sich revanchistische Stimmungen weiter verstärkten. Solange Russland nicht zu einer selbstkritischen Haltung gegenüber seiner eigenen Kultur finde, gäbe es keine Chance auf einen dauerhaften Frieden in Europa.
Die Zwiegespräche wurden im Chat durch die Teilnehmenden kommentiert. Ihre Äußerungen flossen in Form von Fragen an die Diskutanten ein. Anschließend bestand die Möglichkeit zu einem freien Austausch. Gerahmt wurde der Studientag von einem geistlichen Wort zu Beginn und einem Fürbittgebet mit Segensbitte am Schluss.
Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und wird zeitnah online zur Verfügung gestellt. Wie bei den vorhergehenden Studientagen zur Friedensethik wird es eine epd-Dokumentation geben.
Zu einer dreistündigen Schreibwerkstatt waren am Samstag, den 11. März 2023 insgesamt 18 Personen zusammengekommen, um mit viel Kreativität und Sprachfreude ans Werk zu gehen. Man traf sich in Neudietendorf, und um Neudietendorf als Ort sollte es beispielhaft im gemeinsamen Arbeiten auch gehen, denn das Thema war Ort und Ver(w)ortung. Jedoch stammte nur etwa die Hälfte der Teilnehmenden tatsächlich aus der unmittelbaren Umgebung; andere waren aus größeren und kleineren Städten Thüringens angereist. Das machte den Austausch von vornherein spannend: Wie sieht jemand, der zum ersten Mal in einem Ort ist oder schon lange nicht mehr da war, die Dinge – im Gegensatz zu Menschen, die dort wohnen?
Im ersten Teil des Nachmittags näherten sich die Anwesenden mit kleineren Aufgabenstellungen sowohl an das kreative Schreiben, als auch an die Thematik an. Zum Beispiel erstellten sie Kurzgedichte im Stil von japanischen Haikus, inspiriert von fotografischen Detailansichten aus Neudietendorf, aus deren Fülle jede und jeder ein bis drei auswählen konnte.
Nach einem kurzen Ausflug zur Ortsmitte, bei dem unter anderem der Brunnen auf dem Zinzendorfplatz und seine Vergangenheit in den Fokus rückten, sollten die Teilnehmenden aus der Perspektive eines Gegenstands erzählen: Wenn dieser Brunnen reden könnte, was würde er seinen Besuchern sagen? Beim Vorlesen der Ergebnisse kamen erstaunliche Aspekte zur Sprache. Eine Teilnehmerin ließ auch die Bahnhofsunterführung, an der doch ein Großteil der täglich Ankommenden und Abfahrenden vorbeigehen und die dennoch so unbeachtet ihr Dasein fristet, sprechen; eine andere gab dem zu einem Denkmal fixierten ehemaligen Waidmühlstein eine Stimme, die nachdenklich machte.
Jeder Text, der an diesem Nachmittag erstellt und vorgelesen wurde, war etwas Besonderes und im großen Patchwork der gemeinsam geteilten „Ortsansichten“ ein wichtiger Bestandteil.
Der Sonntag, genauer: der freie Sonntag, ist seit mehr als 1.700 Jahren kein Tag wie jeder andere. Er hat sogar auch einen Tag, einen internationalen. Sie verstehen nicht recht? Dann vielleicht so: Der Internationale Tag des freien Sonntags wird jedes Jahr am 3. März begangen. Der römische Kaiser Konstantin erklärte am 3. März 321 nach Christus den Sonntag erstmals für arbeitsfrei. An der Evangelischen Akademie Thüringen ist dieser Termin mittlerweile zum neunten Mal mit der Ausrichtung der Thüringer Arbeitszeitkonferenz verbunden.
Arbeit und Arbeitszeit geraten in Krisenzeiten mehr und mehr unter Druck. Unter dem Titel „Kalte (Arbeits-)Zeiten? Krisenwinter, Klassenfrage, Konsequenzen“ wurden deshalb auf der diesjährigen Arbeitszeitkonferenz aktuelle Fragen von Arbeitszeit, Arbeitsschutz und Verteilungsgerechtigkeit reflektiert und diskutiert. Traditionell nahmen gesundheitliche und gesellschaftliche Perspektiven auf die Arbeitswelt großen Raum ein.
Eingeleitet wurde die Tagung durch drei Impulsvorträge zu den Themen Ist die Arbeit noch der Kitt der Gesellschaft?, Die Krise trifft alle – aber nicht gleichermaßen und Kommt Zeit, kommt Recht? Die Arbeitszeiterfassung als rechtliche Anspruchsgrundlage. Anschließend diskutierten über 30 Teilnehmende aus Personal- und Betriebsräten, Mitarbeitervertretungen der Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitsschutzbehörden, aber auch Interessierte aus Ehrenamt und zivilgesellschaftlichen Organisationen mit den Referent:innen.
Gemeinsame Workshops boten genügend Zeit und Raum zur fachlichen und persönlichen Reflexion. Dabei wurde die Praxis- und Ergebnisorientierung nicht vernachlässigt. Eines der Ziele war die Erarbeitung zentraler Fragen an die Politik, mit denen die Teilnehmenden in offener Atmosphäre aktiv und direkt auf ein Podium mit Gästen aus der Thüringer Landespolitik zugingen. Rede und Antwort standen Diana Lehmann (SPD), Ann-Sophie Bohm (Bündnis 90/Die Grünen) und Ralf Plötner (Die Linke). CDU und FDP entsandten trotz Einladung keine Vertretung. Die Thüringer Arbeits- und Sozialministerin Heike Werner (Die Linke) hielt im Vorfeld des Podiums einen Vortrag und stand ebenfalls für Fragen zur Verfügung.
Die debattierten Inhalte der Arbeitszeitkonferenz 2023 waren breit gestreut. Das betraf schon den Arbeitsbegriff als solchen: Neben der bekannten lohnorientierten Erwerbsarbeit kamen auch andere Arbeitsformen zur Sprache, die meist wegen fehlender Bezahlung nicht als „ökonomisch“ gelten. Diese haben jedoch eine grundlegende Bedeutung für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft. In Erziehung, Ehrenamt und freiwilligen sozialen Diensten bis hin zu Vereinen und Verbänden herrscht die Sorgearbeit vor. Viele Teilnehmende kritisierten nicht nur die nach wie vor bestehende Benachteiligung von Frauen in der (Erwerbs-)Arbeitswelt. Zunehmend gerate auch das Ansehen von ehrenamtlicher Arbeit für das Gemeinwesen unter Druck, was sich nicht zuletzt in gewaltsamen Angriffen gegen Feuerwehr und Rettungsdienste zeige und sich in mangelnder materieller Anerkennung und Ausstattung niederschlage.
Daran anschließend war die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in krisenhaften Zeiten ein weiteres wichtiges Thema der Konferenz. Ministerin Heike Werner brachte in ihrer Gastrede neben dem treffenden Begriff „Stapelkrise“ auch den grundlegenden Wandel zur Sprache, vor dem Wirtschaft und Gesellschaft stünden. Diese sozial-ökologische Transformation bringe zwar angesichts sozialer Verteilungsungerechtigkeit und ökologischer Belastungen durch die Klimakrise große Herausforderungen mit sich, sei aber auch eine Chance, sich der Bedeutung von Werten jenseits von Erwerbsarbeit und Konsum bewusster zu werden. Den Phänomenen der Entsolidarisierung und Individualisierung in der Gesellschaft hielt sie den gemeinsamen Schutz der Lebensgrundlagen und soziale Gerechtigkeit entgegen. In diesem Sinne begrüßte sie Zusammenschlüsse von Klimabewegung und Gewerkschaften. Am gleichen Tag traten diese erstmals in Gestalt von Fridays for Future und der Gewerkschaft ver.di deutschlandweit in Erscheinung.
Über allen Diskussionen der Arbeitszeitkonferenz stand das umstrittene Zitat des Hauptgeschäftsführers der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter: „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit“, verbunden mit der Ansage: „Die Realität ist: Wir werden länger arbeiten müssen – das braucht unser Land“. Diese kürzlich in Reaktion auf die Krisen der Zeit geäußerten Worte aus Arbeitgeberkreisen hatte Studienleiter und KDA-Referent Frank Fehlberg zur Eröffnung der Arbeitszeitkonferenz in den Raum gestellt. Sie waren auf lautes Auflachen und Ablehnung gestoßen.
Im Laufe der Arbeitszeitkonferenz verfestigte sich die Auffassung, dass der Äußerung Steffen Kampeters entgegengetreten werden müsse. Die anwesenden Landesallianzen für den freien Sonntag in Sachsen-Anhalt und Thüringen – ihrerseits Interessengemeinschaften von Kirchen und Gewerkschaften – forderten statt dem verkürzenden „mehr Bock auf Arbeit“ mehr „Bock auf Gute Arbeit“, gepaart mit „mehr Zeit zum Leben, Lieben und Lachen“. Sie sprachen sich gegen Arbeitszeitentgrenzung und Arbeitszeitverlängerungen aus und zeigten sich entschlossen, die Bestimmungen des Arbeitsschutzes – nicht nur für den freien Sonntag – zu verteidigen, durchzusetzen und auszubauen.
Ministerin Heike Werner kritisierte die Forderungen Steffen Kampeters vom BDA ebenfalls. In ihrer Rede, gehalten am eingangs genannten Internationalen Tag des freien Sonntags 2023, stellte sie sich unmissverständlich an die Seite der Sonntagsallianzen: „Die Transformation kann nur erfolgreich gelingen, wenn sie sozial und ökologisch gerecht gestaltet wird. Gerade in diesen Zeiten ist es sehr bedenklich, wenn man den Menschen unterstellt, dass sie keinen Bock auf Arbeit hätten und erneut das Arbeitszeitgesetz oder Ladenöffnungsgesetz angreift.“